München – Sebastian Hoeneß war tief beeindruckt, dabei hatte er in diesem Moment schlechte Laune, was in der Regel nicht gerade dazu animiert, beeindruckt zu sein. Aber als der Trainer von Bayerns U 19 Anfang des Jahres auf dem Weg in die Kabine über der zweiten Pleite in Serie – erst Heidenheim, dann Fürth – brütete, riss ihn der Spieler, der neben ihm hertrottete, aus den düsteren Gedanken: „Trainer, die Mannschaft ist wichtiger als jeder Einzelne. Gerade jetzt müssen wir zusammenstehen.“ So selbstreflektierte Sätze sagen Spieler selten, noch seltener sind sie Talenten zuzuschreiben. Und um Hoeneß’ Verwunderung komplett zu machen: Sie stammten aus dem Mund von Wooyeong Jeong. Der Südkoreaner, der im Januar aus seiner Heimat nach München gekommen war, hatte sie auf Deutsch gesagt.
Der 18-Jährige hat in seinen ersten Wochen in München nicht nur seinen Trainer beeindruckt. Wooyeong lernt so fleißig Deutsch, dass seine Lehrerin Veronika Copakora, mit der er an der Schwabinger Sprachschule „Axioma“ fünf Mal die Woche paukt, bei der Frage, ob sie je einen fleißigeren Schüler unterrichtet habe, nicht lange nachdenken muss: Nein, hat sie nie. „Er lernt unglaublich schnell, ist sehr intelligent.“ Das Erstaunliche: Da er auch kein Englisch spricht, werden die Inhalte mit Körpersprache, viel Empathie und noch mehr Fantasie erarbeitet.
Schon zu Begrüßung hat er ein „Servus“ ganz selbstverständlich auf den Lippen, und Auskünfte über seinen ungewöhnlichen Lebenslauf erteilt er inzwischen mit nur noch sehr wenigen Hilfestellungen. „Ich komme aus Südkorea, es gefällt mir hier sehr gut“, sagt er. Warum er nach München gekommen ist? Wooyeong Jeong lächelt. „Ich will Fußball-Profi werden – bei Bayern.“
Nachdem den Münchner Scouts letztes Jahr zugetragen wurde, dass im fernen Südkorea ein vielversprechendes Talent am Ball sei, luden sie ihn im Frühjahr zum Probetraining ein – er wurde sofort verpflichtet. Laut Statuten durfte er erst im Winter wechseln, er musste 18 sein. Man wartete gerne auf ihn. „Technisch sehr versiert, beidfüßig nahezu perfekt, schnell und ausdauernd“, zählt Hoeneß die Attribute des Exoten auf, und fährt fort: „Sehr spielintelligent und torgefährlich – er hat einiges. Und neben seinen außergewöhnlichen fußballerischen Fähigkeiten zeichnet ihn eine besondere Akribie aus.“ Fazit des Trainers: „Er hat das Zeug zum Profi – wenn er sich so weiterentwickelt auch bei Bayern.“
Bereits in den ersten Wochen durfte er einige Male bei den Profis mittrainieren. Cool war das, erzählt er, Joshua Kimmich sei sehr nett gewesen, und Franck Ribery sagte ihm, dass er immer mutig sein muss. Allerdings brachte er auch bald einen Syndesmosebandriss mit ins Internat des Campus, in dem er lebt. Bei den Profis geht es rau zu.
Aufstecken wird er deshalb aber nicht, sportliche Gene sind ihm in die Wiege gelegt: Sein Papa macht Taekwondo, seine Mutter ist eine Schwimmerin. Er entschied sich für Fußball. Mit 14 ging er zu einem Club, inzwischen ist der Juniorennationalspieler in seiner Heimat schon gut bekannt. „Die Fans haben sehr wohl registriert, dass er zum FC Bayern gewechselt ist“, so sein Berater Honggeon Kim, dem imponiert, dass „Wooyeong alles für seinen Traum investiert, das war schon in Korea so, wo er bereits angefangen hat, Deutsch zu lernen. Er hat schon da gesagt, das Wichtigste ist die Sprache.“
Wooyeong ist schnell in München angekommen, erzählt Honggeon Kim, Campus-Leiter Jochen Sauer versichert, man widme sich Talenten aus einem fernen Kulturkreis besonders aufmerksam. „Anfangs war es eine große Umstellung“, schildert sein Berater. „Zuhause lebt er mit seiner Großfamilie zusammen, mit den Großeltern, was auch in Südkorea nicht mehr üblich ist. Alles ist sehr familiär. Aber er war auch schon in jungen Jahren dort in einem Fußball-Internat. Er kennt den Rhythmus und hat sich jetzt auch hier eingelebt.“
Natürlich vermisst er seine Familie, sagt Wooyeong. Sein Papa ist Blumenhändler, seine Hand ziert ein Blumen-Tattoo, das zeugt von Verbindung. Aber wenn er sich daran erinnert, wie er neulich im Training der Profis ein Tor gegen Sven Ulreich gemacht hat, ist Heimweh kein Thema mehr. Sein Fokus liegt auf München und dem FC Bayern, und die sportlichen Gene sowie das Lob von allen Seiten sind gute Begleiter. Dazu stimmt seine Einstellung. Die zwei Sätze, die er Hoeneß nach dem Spiel gegen Fürth sagte, sagte er auf Geheiß des Trainers im folgenden Training vor der ganzen Mannschaft im Teamkreis. Danach wurde wieder gewonnen.