Hinterher ist es immer leicht zu sagen, man habe alles schon vorher so kommen sehen. Aber in diesem Fall könnte man wirklich fast glauben, dass das Ganze einem großen Plan folgt. Angefangen beim Vorrundenspiel am 24. Juni, Englands 6:1 über Panama. Mit zwei Elfmetertoren von Harry Kane.
England und Elfmeter, das ist jahrzehntelang ein dankbares Thema für Witzereißer gewesen. Und nun besiegeln die ewigen Pechvögel den Sieg auf dem Kreidepunkt, eine Premiere in der WM-Geschichte und zum ersten Mal seit der EM 1996. Irgendwann wurde es fast langweilig, die Angst des britischen Schützen immer wieder aufs Neue zu bespötteln. Die ständige Wiederkehr des Strafstoßtraumas geriet zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: England scheiterte, weil es jedes Mal scheitert.
Diesmal also nicht, und jeder Küchenpsychologe kann sich vorstellen, welch beflügelnde Wirkung dieser Abend auf englische Gemüter haben wird. Bisher waren die Therapiemaßnahmen immer nur theoretischer Natur gewesen. Im Training wurden Elfmeter geübt, aber auch der lange, einsame Weg vom Mittelkreis zum Punkt simuliert. Alles schön und gut, doch ohne den erfolgreichen Praxistest hätten die besten Methoden Hohn und Spott hervorgerufen.
Zugute kommen den Engländern die Veränderungen im Weltfußball. Das fängt beim vielen Geld der Premier League an, das Facharbeiter aus aller Welt anlockt (auch aus Deutschland, einer Hochburg des Elfmeterschießens). Die geben ihr Wissen weiter an eine neue Generation von Talenten, die exzellent ausgebildet ist und mit dem Schusspech der Vergangenheit so viel zu tun hat wie Mario Gomez mit dem Wunder von Bern.
Zuguterletzt haben sich nicht nur die Engländer geändert – sondern auch die Elfmeter. Der moderne Strafstoß ist knallhart geschossen und benötigt nur zwei, drei Meter Anlauf. Das bedeutet weniger Zeit zum Grübeln für den Schützen und weniger Reaktionszeit für den Torwart.
Gareth Southgate und sein Team rüsten sich nun fürs nächste K.o.-Spiel. Ein Elfmeterschießen wird sie nicht mehr schrecken, gleichwohl sollten die Engländer gewarnt sein. Dem hauchdünnen Sieg 1996 folgte eine ebenso hauchdünne Niederlage gegen Deutschland. Einziger Fehlschütze: Gareth Southgate.