München – Seine Autorität im Team ist ungebrochen, das ist am Dienstag nach der Partie in Athen einmal mehr klar zu sehen gewesen. Als die Bayern-Spieler zu ihrem Bus gingen, reichte ein kurzes, nicht unfreundliches „Geh’ du da mal hin“, dass Joshua Kimmich bei den Reportern Station machte. „Ich sprech’ jetzt hier nur, weil der Thomas das gesagt hat“, witzelte der Verteidiger. Thomas Müller ging unterdessen weiter. Reservisten sind nicht gefragt, wenn sich nach einer Partie alles um die Analysen dreht.
Einerseits. Andererseits ist Müller immer gefragt, und so wandten sich ein paar Journalisten von Kimmich ab, als der 29-Jährige ein paar Meter in Richtung Ausgang doch auch Auskünfte gab. Als Reservist ist einer wie er ja fast noch interessanter, und weil er das selber weiß, pendelte er auch jede brisante Frage zu seiner persönlichen Situation gekonnt aus. Rechnet man das Länderspiel gegen Frankreich dazu, hatte sich Müller in Athen zum dritten Mal in Serie in einem Pflichtspiel nicht für die Startelf empfehlen können. Das ist für einen, dem seit seinem Karrierebeginn die van Gaalsche Doktrin „Müller spielt immer“ begleitet, eine lange Zeit. „Der Trainer stellt auf“, meinte er, er verstehe ja, dass die Dinge, die neben dem Platz passieren, für manche Medien interessanter seien als die Ereignisse auf dem Feld. „Aber es hilft uns als Team nicht weiter, wenn wir da Diskussionsrunden aufmachen.“ Müller verhält sich als Reservist tadellos, das bescheinigen ihm alle Weggefährten, bei Bayern wie der Nationalelf. Auch in Athen übte er keine Kritik an einem Auftritt, der ausbaufähig war. „Wir sind unserer Favoritenrolle gerecht geworden“, sagte er, „eine Gala-Vorstellung war das nicht, aber absolut in Ordnung.“ In diese Sätze konnte selbst der böswilligste Zeitgeist – und da gibt es in den Augen der Münchner Bosse unter den Medien nicht wenige – keinen Zündstoff hineinweben.
Trotz allem ist es auch eine Tatsache, dass der Mann mit dem Spitznamen Raumdeuter irgendwie im toten Winkel gelandet ist. Und wenn er sagt, der Trainer stellt auf, unterschlägt er dabei, dass sich zuletzt zwei Übungsleiter gegen ihn entschieden haben: Zunächst ließ Joachim Löw Serge Gnabry von der Leine, dann zog Niko Kovac nach. Müller muss in nächster Zeit kämpfen wie vielleicht noch nie, seit er 2008 bei den Bayern debütierte. Es ist aber sicher auch zu früh, um ihn abzuschreiben. Müller, das lehrt die Geschichte, ist mit Ausnahme der WM in Russland immer eine verlässliche Figur gewesen. Der einen oder anderen Taldurchquerung folgte stets neues Gipfelglück, und auch Kovac macht nicht den Eindruck, als würde er sich grundsätzlich abwenden: Müller sei „ungemein wertvoll“ für die Mannschaft, lobt er ständig.
Als Typ ist er tatsächlich einer, den man sogar bei den Herrgottsschnitzern in Oberammergau nicht besser hinbekommen würde. Es gibt nur wenige, die auch als Reservisten anerkannte Autoritäten sind. Freilich aber wird es ihn auf Dauer nicht glücklich machen, oft zuzuschauen. Am liebsten geht er schon selber hin. Auf dem Platz und auch danach zur Analyse.