Das große Stühlerücken

von Redaktion

Seit Mittwoch ist klar, dass Lucas Hernandez im Sommer kommt. Wer im Gegenzug den FC Bayern verlassen wird, ist eine Frage, die den Club zunehmend beschäftigt. Kandidaten gäbe es einige, konkrete Ansagen keine. Die Bayern müssen sich mit einer Debatte arrangieren, die sie nicht mehr loswerden.

VON MARC BEYER

München – Seit Niko Kovac am 2. Juli 2018 als Trainer des FC Bayern vorgestellt wurde, kennt ihn die Fachwelt als einen Mann, der bestens vorbereitet in öffentliche Auftritte geht. Einleitend darf bei ihm nie ein freundliches „Erst mal Hallo zusammen“ fehlen, und auch danach lässt er sich rhetorisch nie auf dem falschen Fuß erwischen. Wenn so jemand am Tag nach der Verkündung eines 80-Millionen-Euro-Transfers vor die Presse tritt, eigentlich aber viel lieber auf die Schwere des anstehenden Bundesligaspieltages sprechen möchte, ist getrost davon auszugehen, dass er den Spagat zwischen schillernder Zukunft und wöchentlicher Routine souverän bewältigt.

Es hat Kovac gestern zwar mehrere Anläufe gekostet, bis seine Botschaft, erst ab 1. Juli konkret über Lucas Hernandez und seine Rolle im Bayern-Kader reden zu wollen, endgültig angekommen ist. Aber obwohl er ausführlicher als geplant über den französischen Weltmeister sprach, hat er nicht wirklich viel verraten. Klar, wie alle Bayern ist auch der Trainer froh und stolz, lobte die Qualität und Vielseitigkeit des Neuen und seine Mentalität. Aber von einer gewissen Tragweite war lediglich die Passage über das rechte Knie des linken Verteidigers, der auch im Abwehrzentrum heimisch ist.

Wenige Augenblicke nach der Mitteilung, „dass die OP sehr, sehr gut verlaufen ist“, fügte Kovac beinahe beiläufig hinzu, „wenn alles gut läuft“, sollte der Patient zum ersten Spieltag fit sein. Und nicht schon zum 1. Juli. „Es ist nicht zwangsläufig so, dass er schon am ersten Trainingstag hier aufschlagen wird.“ Zweifel an seiner grundsätzlichen Spielfähigkeit erlaube das lädierte Innenband gleichwohl nicht: „Das ist eine Verletzung, mit der ohne Zweifel ein Vertrag unterschrieben werden kann.“

Für die Spekulationen, in welcher Zusammensetzung die neuformierten Bayern künftig auf dem Platz stehen werden, machen die paar Wochen zwischen Anfang Juli und Ende August ohnehin keinen Unterschied. Die Bayern müssen sich mit einer Debatte arrangieren, die ihnen nicht passt, die sie aber nicht mehr los werden. Der Hernandez-Transfer dürfte ein Stühlerücken in Gang setzen, das mindestens mittelgroß ausfallen wird, vielleicht auch größer. Speziell im Abwehrzentrum, seinem bevorzugten Arbeitsplatz bei Atletico Madrid, wird es ab dem Sommer eng. Weil Niklas Süle seit dieser Saison intern oben steht und mit dem Stuttgarter Benjamin Pavard ein weiterer Weltmeister ab dem Sommer zentral eingesetzt werden kann, gehört nicht viel Phantasie dazu, sich einen Abgang zum Beispiel von Jerome Boateng auszumalen. Oder von Mats Hummels. Vielleicht, ganz vielleicht sogar von beiden.

Mit all diesen Namen wurde Niko Kovac gestern konfrontiert, nur einer fehlte. „Bitte Hummels nicht vergessen!“, erinnerte er sofort. Nichts braucht der Trainer weniger als Unruhe im aktuellen Kader, weil der künftige ein ganz anderes Gesicht haben soll. Aber er weiß selber, wie schwer es fällt, den Fokus auf die morgige Partie beim SC Freiburg zu richten. Die ist entweder das Spiel nach dem Rekordtransfer. Oder das Spiel vor Dortmund.

Nicht weniger unübersichtlich ist die Lage auf den Außenpositionen. Hernandez – und auch Pavard – können problemlos links bzw. rechts eingesetzt werden, wo sie es immerhin zu Weltmeisterehren brachten. Dass sie damit David Alaba und Joshua Kimmich verdrängen, ist zwar nicht zu erwarten, dafür sind die Platzhirsche zu fest etabliert. Aber auch ihr Arbeitsplatz könnte sich verändern, mehr oder weniger offen haben beide schon Ambitionen auf eine Rolle im zentralen Mittelfeld angemeldet. Dort dürfte der Kader im Sommer ausgedünnt (oder aufgefrischt) werden. Renato Sanches ist ein naheliegender Kandidat, Javi Martinez ein zweiter. Aktuell befasst sich sein Heimatverein Athletic Bilbao mit dem Gedanken, den Basken zurück zu holen.

Aber solange Hernandez nicht da ist und keiner der aktuellen Spieler weg, ist das alles noch graue Theorie. Konkreter sind jetzt erst mal die Aufgaben in Freiburg, „wo wir uns strecken müssen“ (Kovac), und gegen Dortmund. Einer der potenziellen Wechselkandidaten ist auf den 6. April schon bestens vorbereitet. Jerome Boateng lädt für eben jenen Abend ins P1 ein, um die neue Ausgabe seines Magazins vorzustellen. Wie erfreut die Bayern darüber sind, dass ihr trendbewusster Abwehrspieler für diesen Tag zweigleisig plant, ist nicht bekannt. Bei Niko Kovac hat gestern niemand nachgefragt.

Boateng lädt nach dem BVB-Spiel zur Party

Artikel 1 von 11