München – Ralph Denk hat in den Pyrenäen sein ganz persönliches Gipfelglück erlebt. „Der Kampf ums Gelbe Trikot ist die Königsdisziplin im Radsport“, sagt der Teammanager des Raublinger Rennstalls Bora-hansgrohe, „wenn dann einer aus deiner Mannschaft mit den Besten über die Pässe fährt, wo Hunderttausende stehen, dann ist das schon ein geiles Gefühl.“ Der Mann, der diese großen Emotionen bescherte, gab sich unterdessen betont zurückhaltend. Ob er sich vorstellen könne, in Gelb nach Paris zu fahren? Emanuel Buchmann sagte dazu am gestrigen Ruhetag nur: „Das wäre ein Traum. Aber das Ziel bleiben die Top Ten.“
In den vergangenen Tagen hat der Bora-Kapitän allerdings die Hoffnung geweckt, dass er noch weiter nach vorne fahren kann. Sechster ist er in der Gesamtwertung, sein Rückstand auf den immer noch führenden Franzosen Julian Alaphilippe beträgt nur 2:14 Minuten. „Emanuel ist in einer fantastischen Verfassung“, sagt Enrico Poitschke (49), Sportlicher Leiter des Raublinger Teams: „Man hat gesehen, dass er auf den letzten beiden Pyrenäen-Etappen einer der Stärksten war.“ Die Darbietungen des schmalen Ravensburgers waren so beeindruckend, dass sich auch Jan Ullrich, Deutschlands einziger Tour-Sieger, zu Wort meldete. „Dass sich Buchmann so im Kreis der Favoriten hält und auch beim Zeitfahren seine Klasse beweist, zeigt, dass er das Zeug zu einem echten Champion hat“, sagte er der „Bild-Zeitung.“
Derlei große Worte passen den Bora-Verantwortlichen nicht unbedingt ins Konzept. „Dass Emanuel die Tour de France gewinnen könnte, ist eher Wunschdenken als Realität. Im Moment kämpfen wir um einen Platz unter den besten Zehn – und da sind wir auf einem guten Weg“, betont Poitschke, der darauf bedacht ist, die Favoritenrolle von seinem Kapitän fernzuhalten. Auch Denk neigt da zu leisen Tönen: „Wir wollen unsere Ziele nicht aufblasen. Wenn er Sechster bleiben würde, wäre das großartig.“
Fest steht, dass Buchmann sich nun schon seit zwei Wochen in Topform befindet. Denk erklärt sich das mit dem jüngsten Trainingslager in Livigno. Der 26-Jährige trimmte sich drei Wochen lang in 2200 Metern Höhe, reiste direkt aus der Lombardei zur Frankreich-Rundfahrt an. „Wir hoffen, dass der Effekt des Höhentrainings anhält“, sagt Denk im Hinblick auf die drei enorm schweren Alpenetappen am Ende dieser Woche.
Dass die Tour-Organisatoren die höchsten Hürden an den Schluss gesetzt haben, sieht Poitschke ganz pragmatisch: „Das ist das schwerste Radrennen der Welt. Da will der Veranstalter die Spannung möglichst aufrechterhalten. Das hat man mit dieser Streckenführung auch geschafft.“ Denk meint zur Ausgangslage vor dem stapaziösen Finale: „Die Tour ist offen wie schon seit Jahren nicht mehr. Das ist schon toll für den Radsportfan.“
Die besten Siegchancen gibt Poitschke dem Titelverteidiger Geraint Thomas (Großbritannien), Frankreichs großer Hoffnung Thibaut Pinot, dem Spanier Mikel Landa („der ist in der dritten Woche superstark“) und dem Niederländer Steven Kruijswijk. Auch der Kolumbianer Egan Bernal sei bei den hohen Bergankünften zu beachten. Frankreichs Volkshelden Alaphilippe, den überraschend starken Mann in Gelb, hat er nicht auf der Rechnung: „Man hat ihn zuletzt in den Pyrenäen am Limit gesehen. In den Alpen wird er noch größere Probleme bekommen.“
Und was ist für Buchmann drin? Poitschke setzt für die am Donnerstag beginnende Alpen-Trilogie auf eine Taktik des Abwartens: „Wir wollen so lange wie möglich Kraft sparen und uns eher zurückhalten.“ Dies schließe jedoch nicht aus, dass der Schwabe auf hochalpinem Terrain auch mal attackieren wird: „Wenn Emanuel sich besonders gut fühlt und es die Rennsituation hergibt, werden wir in den letzten Tagen was probieren.“ Denk sieht da auch einen psychologischen Vorteil: „Emanuel hat null zu verlieren, er kann angreifen, wie er will.“ Die Unbeschwertheit im Hier und Jetzt ist Buchmann seitens der Teamleitung also garantiert. Für die Zukunft hegt Denk allerdings ganz große Pläne: „Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich eines Tages die Tour gewinnen will – am besten mit Emanuel.“