München – Tobias Potye ist unzufrieden. Nachdem das deutsche Hochsprungtalent von der LG Stadtwerke München 2019 verletzungsbedingt keinen einzigen Wettkampf bestreiten konnte, kürte er sich bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig im August mit einer Höhe von 2,20 Metern direkt zum Vizemeister. Zu wenig für den 25-Jährigen. Oder besser gesagt: zu tief.
„Das klingt vielleicht blöd, aber ich trainiere nicht so viel, damit ich mich mit 2,20 Metern zufrieden gebe“, erzählt Potye unserer Zeitung. „Insofern war es ein wenig enttäuschend, weil ich mir mehr zutraue.“ Wegen anhaltender Beschwerden an der Patellasehne verzichtete der Münchner freiwillig auf die Saison 2019 – die Pause sah er als letzte Chance, sich doch noch den Olympia-Traum erfüllen zu können. Die Corona-Pandemie und die damit verbundene Verschiebung der Spiele sieht Potye deshalb mit gemischten Gefühlen: Die Situation habe den gesunden Aufbau etwas eingeschränkt, erklärt er. Auf der anderen Seite weiß er aber auch: „Es ist ein gewonnenes Trainingsjahr.“ Für Potye gibt es nun zwei Möglichkeiten, soll es mit Tokio klappen: die Qualifikation über die Weltrangliste oder das Überspringen der Olympia-Norm von 2,30 Metern.
2018, vor seinem Seuchenjahr, war beides zum Greifen nah. Es fehlten nur noch wenige Punkte, um auf die Qualifikationsränge vorzustoßen, in Regensburg sprang Potye mit 2,27 Metern bayerischen Rekord. Nun, ein Jahr vor dem Event in Japan, ist der Oberbayer plötzlich weit entfernt von seiner damaligen Ausgangsposition. Die Quali über die Weltrangliste hat der 1,98 Meter große Leichtathlet inzwischen abgehakt. 2019 konnte er keinerlei Punkte sammeln, die diesjährigen Wettkämpfe werden in das Ranking nicht miteinbezogen. „Das heißt, für mich ist eher die Höhe der Weg“, sagt Potye. Jetzt ginge es aber erst einmal darum, „die Form von damals wieder aufzuholen“. So langsam erinnere sein Sprungbild wieder an 2018, freut sich Potye. Aktuell versucht er, seinen Anlauf von fünf auf sieben Schritte zu erhöhen. „Ziel ist es, mehr Geschwindigkeit kontrolliert nach vorne mitzunehmen“, erklärt der ambitionierte Sportler. „Und mehr Geschwindigkeit bedeutet in der Regel mehr Höhe – wenn man sie umsetzen kann.“
Nach den kräftezehrenden Wochen steht jetzt aber erst einmal eine kurze Pause an. Akkus aufladen ist angesagt, um im Herbst den Aufbau noch einmal von vorne beginnen – und den Angriff auf die 2,30 Meter zu starten. „Ich bin optimistisch“, sagt Potye. „Sonst wäre das Ganze ein trauriges, zielloses Unterfangen.“ Bis dahin darf vor allem eins nicht passieren: eine Verletzung. Die Arbeit mit einem Sportpsychologen soll Potye die Angst vor weiteren Blessuren nehmen. „Man entwickelt eine gewisse Erwartungshaltung, dass sich bestimmte Körperregionen melden“, erklärt er. Deshalb käme es jetzt darauf an, „gute Erfahrungen zu sammeln und das Vertrauen zurückzugewinnen“. Die Gesundheit hat Priorität. Das sieht auch Potye so: „Egal wie hoch ich am Ende des Jahres gesprungen bin: Das Entscheidende ist, dass ich wieder springen konnte.“ JULIAN NETT