Nun geht es also los. In Rom. Hach, Italien! Es könnte eine schöne Europameisterschaft werden mit Bildern vom Kolosseum, dann aus den Gassen von Neapel, über die Wäscheleinen gespannt sind, und weiter zum Mailänder Dom. Die Fernsehanstalten würden sich eine schöne Terrasse anmieten (vielleicht die von Commissario Brunetti in Venedig), und kein Zuschauer könnte sich dem Flair dieses Turniers entziehen. Nur: Rom und Italien sind nicht mehr als eine Station, die Gruppe springt weiter nach Baku, Aserbaidschan.
Auch ohne die alles erschwerende Pandemie ist die pankontinentale EM ein Bruch mit allen Gewohnheiten. Umstritten war sie immer schon. Weil ein Fußballturnier gedacht war als Bühne für ein Land (oder, wenn es sich zu klein fühlt, die Organisation zu stemmen, mit einem benachbarten Partner). Zu den Anforderungen für die Mannschaften zählte es dann, sich auf diese Kultur einzustellen, auf die Fans, die klimatischen Umstände.
Die Idee von Ex-UEFA-Präsident Michel Platini, es mal anders zu machen und möglichst viele Länder einzubinden, wurde von ihren Befürwortern als charmant bezeichnet. Man kann allerdings auch der Ansicht sein, sie zeuge von Berechnung: Platini versuchte auf diese Art, die kleinen Verbände zu umgarnen, die das gleiche Stimmrecht haben wie die großen. Und der Anlass wirkt gekünstelt: 60 Jahre Europameisterschaft (ausgehend vom Termin 2020): Die EM war 1960 ein kaum wahrgenommenes Ereignis. Viele Verbände, darunter der DFB auf Anweisung seines Bundestrainers Sepp Herberger, winkten ab.
Andererseits: Man sollte dieser aus dem Rahmen fallenden EURO auch eine Chance geben. Am Samstag bringt sie uns zur Kopenhagener Meerjungfrau und in die St. Petersburger Eremitage. Am Sonntag in die Grachten von Amsterdam. Ein wenig Geografie werden wir also erleben – und mehr sehen als die Stadien, die wir im Fernsehbild allenfalls daran erkennen, dass der Ortsname auf der Bande Höhe Mittellinie steht.
Der deutsche TV-Konsument wird sich einer besonders harten Wirklichkeit stellen müssen: Herzogenaurach, Firmengelände des DFB-Sponsors. Täglich im Hintergrund ein Bürogebäude. Das fränkische Kolosseum.