München – Jaromir Jagr ist ehrlich. Ob er heute noch in der NHL spielen könnte, der besten Liga der Welt? „Nein, könnte ich nicht“, sagt der Tscheche. Die NHL hat sich wegentwickelt von seinem Spiel, ihr Stil ist weniger konfrontativ geworden, und er liebte es nun mal, sich zu reiben. Außerdem: Die eigene Leistungsfähigkeit lässt nach mit den Jahren. Oder in seinem Fall besser: mit den Jahrzehnten. Jaromir Jagr, einer der besten Spieler, die das Eishockey je gesehen hat, wird an diesem Dienstag 50. Doch selbst wenn er die große Karriere in der National Hockey League nach 1941 Spielen mit 844 Toren vor fünf Jahren hinter sich gelassen hat – aktiv ist er weiterhin: Jagr spielt in der höchsten tschechischen Liga, für Rityri Kladno. Er steht bei acht Treffern nach 35 Saisonspielen. Fürs Protokoll: Es ist seine 34. Saison als Profi.
Das mit Kladno ist eine Herzenssache – allerdings auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Der Club, in dem er aufwuchs, ehe er sich 1990 aufmachte zu den Pittsburgh Penguins in die NHL, gehört Jaromir Jagr inzwischen. Voll und ganz. Er hält 100 Prozent der Gesellschaftsanteile, er ist Präsident. Und er hat gemerkt, dass die Sponsoren mehr geben, wenn er die Attraktion auf dem Eis bleibt. 2018/19 hatte er es wirklich ausklingen lassen wollen, Kladno spielte nur in der zweiten Liga in Tschechien, dann kam die Qualifikationsrunde zur ersten – und er griff wieder ein: elf Spiele, zehn Jagr-Tore, Aufstieg. Seitdem ist er wieder fester Bestandteil der Mannschaft. Seiner Mannschaft. Sie steht auf Platz 14, dem vorletzten, es droht die Relegation. Doch die Playoff-Qualifikation ist noch nicht außer Reichweite. Kladno braucht Jaromir Jagr.
Es geht ihm nicht mehr um Titel und Trophäen. Er ist Olympiasieger von 1998, hat mit Tschechien zweimal die Weltmeisterschaft gewonnen, mit Pittsburgh zweimal den Stanley Cup. Er war zwischendurch für drei Jahre mal in der russischen KHL, und er hat sogar für einen deutschen Club gespielt. 1994 befand sich die NHL in einem Tarifstreit, Jagr wollte auf Eishockey nicht verzichten. Er tourte durch Europa. Sein Freund Peter Fiala war Spielertrainer beim Oberligisten Schalker Haie, Jagr besuchte ihn und bestritt das Spiel gegen den Herner EV. Er schoss ein Tor (nach 27 Sekunden) und bereitete zehn vor. Elf Scorerpunkte in einem Match (das 20:5 ausging) – Rekord. Gage: ein Schnitzel mit Beilage. Es ging nicht immer nur um Geld. Auch jetzt in Kladno bekommt Jagr nichts. Er müsste sich sonst selbst bezahlen.
Das Geheimnis seiner Leistungsfähigkeit? Neben Eishockey-Training und Spiel zwang Jaromir Jagr sich zu täglich 500 Kniebeugen. Verletzt war er selten in seinen insgesamt 24 Jahren in der Knochenmühle der NHL – und das zu einer Zeit, als das Spiel noch physischer war als heute.
Er bemerkt das Alter jetzt aber schon, es reißt nichts, doch es sind kleine Verletzungen, deretwegen er ab und zu ein Spiel in Tschechien verpasst. Er stellt sich dann eben an die Bande und agiert als Co-Trainer. Chefcoach ist der Kanadier Jeff Paul, doch der lässt seinen Teilzeit-Assistenten gewähren. Denn Jagr ist auch sein Vorgesetzter.
Aber am liebsten noch immer Spieler. Und er will nicht aufhören. Wer ihn fragt, warum er noch spielt, verdient seine Verachtung, denn wer ihm so kommt, kann selber nie gespielt und nie Gefühle gehabt haben. „Ich kann nicht etwas beenden, das ist liebe. Ich opfere so viel dafür“, sagt Jaromir Jagr.
50 ist nur eine Zahl, sie bedeutet ihm nichts. Gute Tradition bei Jaromir Jagr: Seinen Geburtstag ignoriert er. Diesen erst recht.