München – Es wirkte lange Zeit wie ein Duell unter Gentleman. Der enge Kampf zwischen Ferrari und Red Bull begeisterte bei den ersten Rennen der neuen Formel-1-Saison die Fans weltweit auch durch die Fairness der beiden Kontrahenten. Red-Bull-Weltmeister Max Verstappen (23) und der gleichaltrige Ferrari-Herausforderer Charles Leclerc gingen äußerst respektvoll miteinander um – und keiner von beiden versäumte es nach den Kämpfen auf der Piste, den anderen in höchsten Tönen zu loben.
Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko (78) machte dem diesjährigen Konkurrenten Ferrari sogar begeistert Komplimente. „Ferrari hat die gleiche DNA wie wir,“ analysierte der Ehrenbürger seiner Heimatstadt Graz, „beide sind wir Racer. Uns geht es nur um den Sport. Mit Mercedes war das etwas anderes.“
Aber: Während des Rennens in Miami und auch danach gab es die ersten Risse in der für Formel-1-Verhältnisse ungewöhnlichen Liebesbeziehung. Die ersten Giftpfeile flogen – in beide Richtungen. Den Anfang machte Red Bull. Hintergrund: Nach dem Rennen in Imola gab es dort einen Test von Reifenmonopolist Pirelli. Sowohl Ferrari als auch Red Bulls Schwesterteam Alpha Tauri nahmen daran teil. Sinn dieser Tests ist es, dass Pirelli weitere Erkenntnisse bekommt, die bei zukünftigen Entwicklungen einfließen können. Verboten ist es aber, dass die teilnehmenden Teams Daten für eigene Fahrzeugentwicklungen sammeln können. Genau das aber habe Ferrari vielleicht getan, vermutete man bei Red Bull. Die Österreicher gaben dem Dachverband FIA den Hinweis, dass die Roten mit zwei verschiedenen Unterboden den Reifentest absolviert haben, um Daten für sich selbst zu bekommen. Spione von Alpha Tauri hatten das vorher den Red-Bull-Ingenieuren zugetragen.
Die FIA fragte deswegen pflichtbewusst während des Miami-GPs bei Ferrari nach – und gab sich mit der Antwort der Scuderia zufrieden. Die Italiener gaben zwar zu, mit verschiedenen Unterböden bei den Stammfahrern Charles Leclerc und Carlos Sainz unterwegs gewesen zu sein. Aber beide Aerodynamikteile wären schon während der ersten Rennwochenenden im Einsatz gewesen. Und das wäre dann wieder erlaubt.
Nach dem Rennen in Miami, das Verstappen souverän gewann, kam dann Ferrari-Teamchef Mattia Binotto mit der Retourkutsche. Binotto erklärte, dass Red Bull zuletzt mehrere Updates gebracht und dadurch „einige Zehntel“ gewonnen habe. In diesem Zusammenhang erinnerte er an die Budgetobergrenze. Hintergrund: In diesem Jahr ist es den Teams nicht erlaubt, mehr als 140 Millionen US-Dollar auszugeben. Es gebe „Bedenken, wie viel sie (Red Bull, d. Red.) unter Berücksichtigung der Budgetobergrenze entwickeln – das ist sicherlich ein Problem“, sagte Binotto.
Der Hinweis ist auch als Aufforderung an die FIA zu verstehen, zu überprüfen, ob Red Bull sich an das Budgetlimit hält. Binotto: „Irgendwann muss Red Bull die Entwicklung einstellen, da es die Budgetobergrenze gibt. Falls nicht, verstehe ich nicht, wie sie das machen können.“ Denn finanziell sei es laut dem Teamchef der Scuderia gar nicht möglich, dieses Tempo aufrechtzuerhalten. Ferrari hätte wegen des Budgetlimit nämlich bisher nur sehr überschaubare Updates gebracht.
Erst beim nächsten Rennen in Barcelona kommen die Italiener mit ihrem ersten großen Entwicklungspaket, das den Rückstand zu Red Bull wieder wettmachen soll. Allein: Auch Red Bull legt in Spanien wieder nach. Marko: „Dort kommen wir mit neuen Teilen, mit denen wir endlich auf unser Optimalgewicht kommen können. Bisher lagen wir relativ deutlich über dem geforderten Mindestgewicht von 798 Kilogramm.“
Fest steht: Die Italiener wirken nervös. Zwar liegen sie mit Charles Leclerc in der Fahrerwertung vorne und sind auch noch Spitzenreiter in der Teamwertung. Was ihnen aber Sorge macht: Verstappen gewann die letzten beide Rennen, er siegte insgesamt dreimal. Immer wenn er ins Ziel kam, hatte der Niederländer die Nase vorn. Der Weltmeister verkürzte den Abstand zu Leclerc auf 19 Punkte. Bei den Teams liegt Red Bull sogar nur noch sechs Punkte hinter den Italienern. Der Trend spricht deshalb klar für Red Bull.
Helmut Marko aber meint: „Ferrari und wir sind auf Augenhöhe. Den Unterschied wird in Zukunft machen, wer auf der jeweiligen Rennstrecke das beste aus dem Paket herausholt. Wir freuen uns weiterhin auf den großen Kampf und vertrauen voll der FIA, die dafür sorgt, dass alles mit rechten Dingen zugeht.“
Ex-Formel-1-Fahrer Marc Surer erwartet zunehmende Spannungen zwischen Verstappen und Leclerc: „Ich weiß nicht, wie die beiden miteinander umgehen werden, wenn es in die entscheidende Phase gehen wird.“ Der Schweizer prophezeit dazu noch, dass auch Mercedes bald wieder in den Titelkampf eingreifen kann. Surer: „Ich glaube, dass Mercedes beim übernächsten Rennen in Monaco extrem stark sein wird. Sollte ich recht behalten, wird der WM-Kampf noch mal eine ganz neue Dimension bekommen.“