„Ich trauere der verpassten Chance immer noch nach“

von Redaktion

Bastian Schweinsteiger über das verlorene Finale dahoam vor zehn Jahren in München

Am 19. Mai vor zehn Jahren verlor der FC Bayern das legendäre Königklassen-Finale dahoam in München – unter anderem, weil Bastian Schweinsteiger gegen Chelsea (3:4 i. E.) einen Elfmeter verschoss. Im Klubmagazin 51 hat sich die FCB-Legende nun noch einmal ausführlich zu diesem Abend geäußert. Unsere Zeitung druckt Auszüge aus dem Interview.

Herr Schweinsteiger, was denken Sie heute über das Finale dahoam?

Fragt mich bloß nicht, wie wir dieses Spiel verlieren konnten. Das ist mir immer noch ein Rätsel.

Wie ging es Ihnen am Morgen danach?

In aller Früh bin ich raus in die Stadt und habe mir einen Orangensaft und eine Breze geholt. Dann bin ich zur Isar spaziert, das habe ich gerne und oft gemacht. An diesem Morgen war ich aber fast allein unterwegs, es herrschte eine Totenstille in der Stadt. An der Reichenbachbrücke habe ich mich auf einen Stein gesetzt und die Füße ins Wasser gehalten. Die Beine taten mir weh, weil ich im Spiel einen Schlag abbekommen hatte. Da tat die Abkühlung gut.

War es auch mental eine Abkühlung?

Die Niederlage war schwer zu akzeptieren, das hat sehr wehgetan. Ich habe darüber nachgedacht, wie das passieren konnte. Bis heute gibt es nur eine einzige Begründung, die mir einfällt: Vier Jahre zuvor hatte Chelsea das Champions-League-Finale im Elfmeterschießen verloren, vielleicht hat der Fußballgott gewollt, dass sie diesmal das Glück auf ihrer Seite haben.

Sie haben im Elfmeterschießen den Pfosten getroffen …

Schuldzuweisungen gab es nicht, auch nicht bei uns in der Mannschaft. Ich selbst habe mir am meisten Vorwürfe gemacht. Dabei war mein Elfmeter gar nicht schlecht geschossen, denke ich. Petr Cech im Tor hat aber einfach sehr gut reagiert und den Ball mit den Fingerspitzen an den Innenpfosten gelenkt. Das muss ich akzeptieren, so bitter es ist. In so einem großen Finale, im eigenen Stadion, direkt vor der Südkurve … Die Gesichter der Fans habe ich heute noch vor Augen.

Im Elfmeterschießen stand es 3:3, als Sie angetreten sind. Karl-Heinz Rummenigge glaubt, Ihnen heute ein bisschen Unwohlsein anzusehen. Wie sicher haben Sie sich gefühlt? Wenige Wochen zuvor hatten Sie im Halbfinale bei Real Madrid den entscheidenden Elfer versenkt …

Es war schon ein anderer Druck als in Madrid. Aber das hat mich nicht so beschäftigt. Mich hat etwas anderes irritiert: Bei den Elfmetern zuvor war schwer zu lesen gewesen, wie Petr Cech reagiert. Deswegen habe ich vor dem Elfmeter noch überlegt, wie ich schieße. Wahrscheinlich ist es das, was Karl-Heinz Rummenigge gesehen hat mit seinem Adlerauge (schmunzelt).

Rummenigge schaut sich das Spiel jedes Jahr erneut in voller Länge an – und entdeckt immer wieder neue Details. Haben Sie sich jemals freiwillig wieder Bilder angesehen?

Ich habe das Spiel nie in voller Länge gesehen, nur Ausschnitte. Ich habe aber noch alle Details im Kopf. Unsere vergebenen Chancen, das Tor von Thomas Müller, das Gegentor nach einem Eckball … Allein wie diese Ecke zustande gekommen ist, war total unglücklich und vermeidbar.

Sie wissen bestimmt auch noch, wie David Luiz beim Eckball in den Strafraum lief und das Tor ankündigte: „And now goal.“

In seinem portugiesischen Englisch … (schmunzelt) Ich war ihm bei Eckbällen zugeteilt und habe ihn 88 Minuten nicht gesehen. Dann hatte Chelsea seine erste und einzige Ecke im ganzen Spiel – und da kommt er plötzlich und sagt das. Ich habe mir nur gedacht: „Du mit Sicherheit nicht.“

Das Tor hat dann Didier Drogba gemacht.

Ich glaube, wir hätten es verhindern können. Kurz vor Schluss war Daniel Van Buyten eingewechselt worden – wir hätten ihn bei dem Eckball zu Drogba stellen müssen. Mit seiner Größe hätte Daniel vielleicht etwas gegen ihn ausrichten können.

Ist das Spiel an dieser Stelle gekippt?

Auch in der Verlängerung waren wir dem zweiten Tor näher als Chelsea. Die sind ja kaum vors Tor gekommen. Leider haben wir aber im ganzen Spiel immer überhastet abgeschlossen. Möglicherweise war das der besonderen Situation geschuldet, dass das Finale in unserem Stadion stattfand. Da will man vielleicht manchmal zu viel. Es waren jedenfalls ein paar Chancen dabei, die wir normalerweise verwertet hätten. Sogar Arjen hat leider einen Elfmeter verschossen.

Die Statistik nach 120 Minuten sprach Bände: 35:12 Torschüsse, 20:1 Ecken, 61 Prozent Ballbesitz für den FC Bayern. Selbst im Elfmeterschießen haben Sie 3:1 geführt …

Der Heimvorteil war schon ein Pfund für uns, das hat man im Spiel gemerkt. Für Chelsea war es Schwerstarbeit. Ich habe Jahre später mit Frank Lampard und Juan Mata über das Spiel gesprochen. Sie haben erzählt, dass sie damals nicht verstanden, warum der Henkelpott bei ihnen im Hotel stand. Für mich und die meisten meiner Mitspieler war es die größte Niederlage in der Karriere. Gefühlt hatten wir schon neun Finger am Pokal, vielleicht sogar mehr, und dann flutscht er uns im letzten Moment aus den Händen.

Haben Sie inzwischen Ihren Frieden mit dem Finale dahoam gemacht?

Es hilft schon, wenn man ein Jahr später das Triple holt (grinst). Aber tief in mir trauere ich der verpassten Chance von 2012 immer noch nach. Es wäre einfach wahnsinnig gewesen, im eigenen Stadion die Champions League zu gewinnen. Davon hätte ich gerne Bilder im Kopf – habe ich aber leider nicht.

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