München – Domenico Tedesco, Trainer von RB Leipzig, beschrieb die Offensive des FC Bayern nach dessen 5:3-Sieg im Supercup wie folgt: „Die Pfeile kommen von überall.“ Eine Woche später gestand der Frankfurter Fußballlehrer Oliver Glasner, nachdem seine Mannschaft mit 1:6 gegen den deutschen Rekordmeister unter die Räder gekommen war: „Wir waren mit ihrem Tempo überfordert.“ Nach der 7:0-Gala in Bochum wählte VfL-Stürmer Simon Zoller drastische Worte: „Sie haben uns von der ersten bis zur 90 Minute den Arsch aufgerissen. Ich wurde selten so zerstört.“
Gemeint war damit der bayerische Hochgeschwindigkeitsangriff um die Torschützen Sadio Mané (30), Kingsley Coman (26), Leroy Sané (26) und Serge Gnabry (27), die gegen den Ruhrpott-Club aufdrehten. Und dann gibt’s ja auch noch Jamal Musiala (19) und Alphonso Davies (21), die das Spiel verletzungsbedingt verpassten. All diese Namen rufen bei den Gegnern mittlerweile Angstzustände hervor. Mehr denn je. Aber weshalb funktioniert die neu formierte Pfeil-Offensive eigentlich schon so gut?
Teamgeist: „Diese Energie, die in der Mannschaft steckt, diese Stimmung. Jeder gönnt jedem alles. Die Spieler geben füreinander sehr, sehr viel“, schwärmte Trainer Julian Nagelsmann (35) von seiner Mannschaft in Bochum und verriet: Diese Energie ist vergangenes Jahr nicht immer so vorhanden gewesen.“ Was der Fußballlehrer meint: In der Vor-Saison mussten die Spieler häufig die Launen des mittlerweile zum FC Barcelona abgewanderten Robert Lewandowski (34) aushalten, wenn er mal nicht sportliche glänzen und sich in die Torschützenliste eintragen konnte. Oder mit neuen Ideen von Nagelsmann nicht klarkommen wollte. Andererseits fühlten sich einige Kicker durch die enorme Präsenz Lewandowskis in ihren fußballerischen Fähigkeiten eingeschränkt, da das Münchner Spiel komplett auf den Ausnahmestürmer zugeschnitten war. Wie sehr, das beweist ein Blick in die Statistik: Am dritten Spieltag der vergangenen Spielzeit hatten die Bayern neunmal getroffen. Fünf Tore erzielte Robert Lewandowski. Nun steht die Mannschaft bei 15 Toren und acht verschiedenen Torschützen. Diese Art des Jobsharings hebt die Laune.
Taktik: Durch den bereits angesprochenen Abgang von Lewandowski wirkt die rote Offensivabteilung befreiter. Es tummeln sich vorne jetzt mehrere sogenannte Zielspieler, die dank der neuen 4-2-2-2-Grundordnung auf unterschiedlichste Weise eingesetzt werden. Mittelfeldchef Kimmich frohlockt: „Ich finde, wir haben uns ein System erarbeitet, in dem wir uns sehr wohlfühlen und unsere Spieler sehr gut zur Geltung kommen. Gerade unsere Offensive. Da haben wir echt eine Riesenqualität.“ Und eine enorme Flexibilität. Während in Frankfurt viel durchs Zentrum gespielt wurde, ließ Nagelsmann gegen Wolfsburg vermehrt über links und in Bochum über rechts attackieren. Die Außenspieler drängen dabei immer mehr in die Mitte, um die Doppelspitze zur Geltung zu bringen – das Vorgehen erinnert in der Tat an einen Pfeil.
Training: Die vier Plätze im Bayern-Angriff sind heiß begehrt – und entfachen einen knallharten Konkurrenzkampf auf allen Ebenen. Nagelsmann erklärt das wie folgt: „Wir haben dieses Jahr eine Kaderdichte, bei der eine rein gute Spielleistung nicht zwingend dazu führt, dass du spielst. Du musst dich auch im Training beweisen.“ Heißt im Klartext: Nur wer seinen Trainer sowohl im Spiel als auch im Training überzeugen kann, darf auf einen Startelfeinsatz hoffen. Das treibt alle Angreifer tagtäglich zur Höchstleistung an.