Frankfurt – Es geht ja bald los, in weniger als zwei Monaten versammelt sich der deutsche WM-Kader und reist über Oman nach Katar. Alles ist anders, als es sonst bei einer Weltmeisterschaft wäre. „Die Trainer freuen sich nicht, da sie wenig Vorbereitungszeit haben“, sagt Nationalmannschafts- und Akademiedirektor Oliver Bierhoff, „dafür müssen sie sich diesmal keine Gedanken machen, wie sie die Spieler in einen guten Fitnesszustand bringen. Und was die Organisation angeht, ist alles anders als bei früheren Turnieren.“ Reisestress entfällt. es ist ja alles auf einem kleinen Fleck Erde. Doch es ist einer, dessen Politik die ganze Welt beschäftigt. „Unsere Mannschaft“, so Bierhoff, „beschäftigt das Thema Menschenrechte.“
Montag war Anreisetag für das Auswahlteam des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) für die Nations-League-Spiele gegen Ungarn und England, die Spieler waren eingeladen, in der Frankfurter Akademie an einem Kongress zur Menschenrechtslage im WM-Gastgeberland teilzunehmen. Der DFB will seine Spieler bestmöglich informieren, zu ihrer Meinungsbildung beitragen – doch sie nicht überfrachten.
Während Bundestrainer Hansi Flick im Interview mit der „SZ“ sagte, die Frage nach der Richtigkeit des WM-Zuschlags für Katar „hätte schon viel früher beantwortet werden müssen – und zwar mit einem Nein!“, richtete Bierhoff den Blick nach vorn: „Wir müssen einen Spagat finden zwischen der Verantwortung, die wir als Personen haben, und der Aufgabe, dass wir als Nationalmannschaft unser Land vertreten und den nächsten Stern holen wollen. Die Kritik an Katar darf nicht dazu führen, dass wir keine Lust mehr am Turnier haben.“
„Wie Oliver sagt: Es ist ein Balanceakt“, pflichtet Lise Klaveness Bierhoff bei. Die Präsidentin des Norwegischen Fußball-Verbandes ist eine Ikone der Katar-Kritiker. Auf dem FIFA-Kongress erhob sie vernehmbar ihre Stimme. „Wir müssen realisieren, dass wir bisher nicht genug getan haben“, greift sie als Gast auf dem DFB-Kongress ihr Thema auf. „Aber wir können nicht so weit gehen, dass wir keinen Fußball spielen.“ Boykotte sind längst vom Tisch. Klaveness fordert „bessere Sicherheitsgarantien“ für Menschen aus der LGBTQ-Szene und will dafür kämpfen, dass sich die FIFA an eine bestimmte Zusage hält. Auf die weist auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf hin: „Paragraph 6 der ,Human Rights Policy’ der FIFA sieht vor, dass sie dort Entschädigungszahlungen leisten muss, wo sie Verantwortung übernommen hat. Grundsätze, die man sich selbst gibt, sollte man tunlichst einhalten.“
Mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser wird Neuendorf im Oktober nach Doha reisen und auf die Umsetzung von Versprechungen Katars pochen. Das sind: „Einrichtung von Anlaufstellen für migrantische Arbeiter und eines Entschädigungsfonds, wenn Arbeiter ums Leben gekommen sind oder so schwer verletzt wurden, dass sie ihre Familien nicht mehr ernähren können.“
Scheich Abdulla Binmohammed Bin Saud-al Thani hörte das alles mit, Katars Botschafter in Berlin antwortete zunächst mit einem Ablenkungsmanöver: „Russland war 2018 nicht im Fokus. Konzentrieren Sie sich nicht immer auf ein Land.“ Er sagte, Katar sei stolz auf Veränderungen, die es auf den Weg gebracht habe: „Wir haben viele Firmen bestraft und auch welche geschlossen.“ Sein Zwischenfazit: „Wir sind nicht perfekt, wir tun aber unser Maximum und befinden uns auf einer Reise. Wir spielen gegen die Zeit.“
Der Scheich sagt, er habe gehört, „dass 70 000 Menschen aus Deutschland zur WM nach Katar kommen.“ Er fordert alle auf: „Verstecken Sie sich nicht hinter dem Busch. Reden Sie mit den Arbeitern.“ Die Reformen würden weitergehen, denn: „Wir wollen auch Olympische Spiele.“