Müllers neue Rolle

Altersteilzeit in Bestform

von Redaktion

HANNA RAIF

Auch mit 34 Jahren und im 144. Champions-League-Spiel kann man noch Premieren erleben, sogar „wirklich coole“. So nämlich bezeichnete Thomas Müller die Choreografie, die die Fans des FC Kopenhagen am Dienstagabend im Parken-Stadion zum Besten gegeben hatten – und fügte an: „Ich bin ja auch ganz gut weggekommen.“ In der Tat wirkte die gezeichnete Parodie auf den ewigen Bayern vorteilhafter als der hinter dem Comic-Müller rennende und rotköpfige Uli Hoeneß. Für die Message dahinter aber war die Güte der Zeichnung egal: So wie Hoeneß nach wie vor das Gesicht der Führungsetage ist, ist Müller jenes der Mannschaft. Seit 14 Jahren Stammgast in der Königsklasse – nicht wegzudenken.

Es gibt dieser Tage beim FC Bayern genug große Themen. Der Boateng-Frage, der Zeitpunkt der Eberl-Verpflichtung, die Neuer-Rückkehr und Tels Joker-Tore. Aber die Personalie, von der Experten (und solche, die es sein wollen) schon beim Amtsantritt von Thomas Tuchel im Frühjahr gewarnt hatten, hat sich mithilfe aller Beteiligten zu einer Geschichte entwickelt, die fast ein bisschen ans Herz geht. Da ist ein Coach, der um die Wichtigkeit des Oldies im Kader weiß, ihn schätzt, fördert und in diversen Rollen – Startelf, Joker, Spielertrainer – fordert. Und da ist ein verdienter Profi, der aus der Vergangenheit gelernt hat. Einen angefressenen, desillusionierten, unzufriedenen Thomas Müller hat man in der laufenden Saison noch nicht gesehen. Stattdessen hat der aktuell letzte verbliebene Wembley-Held im Bayern-Kader – auch wenn er es selbst bestreitet – eine neue Rolle eingenommen, die ihm auf den Leib geschneidert ist.

Während andere Helden der jüngeren Zeit – Philipp Lahm beendete seine Karriere mit 33 aus eigenen Stücken, Bastian Schweinsteiger verwirklichte sich mit 30 den Traum von Manchester United – eine Altersteilzeit in München vermeiden wollten, geht Müller diesen Weg auf seine Art. Sie ist geprägt von Erfahrung und lebt von viel Lässigkeit, und sie hat nichts mehr gemein mit anderen Zeiten unter anderen Trainern. Die Herren Niko Kovac, Carlo Ancelotti und Julian Nagelsmann hatten die Brisanz der besonderen Personalie unterschätzt, Tuchel darf sie nun unter neuen Vorzeichen auskosten.

Auch er moderiert das gut, ohne Frage. Allerdings macht Müller es ihm auch leicht. Neun Monate vor dem Auslaufen seines Vertrages ist er so viel mehr als der Gute-Laune-Onkel, denn er gibt er diesem Team – siehe Kopenhagen – auch auf dem Platz noch sehr viel. Deshalb tut es schon jetzt weh, an die Zeit „nach Müller“ zu denken. Liebe Fans: Bitte noch keine Abschieds-Choreo planen!

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