München – Der zweite Arbeitstag begann für Manuel Neuer am Samstag nach 17.25 Uhr. Aber es machte den Anschein als fiel dem 37-Jährigen all das, was nach Abpfiff kam, genauso leicht wie das Comeback nach 350 Tagen ohne Einsatz auf dem Rasen. Keine Kamera, kein Mikrofon, kein Diktiergerät ließ der Keeper des FC Bayern nach dem 8:0 (0:0) gegen Darmstadt aus, aber warum auch? Über acht Treffer und den vierthöchsten Bayern-Sieg der Bundesliga-Geschichte zu sprechen. machte ja genauso viel Freude wie über die persönlichen Erlebnisse an diesem Tag, der dem eigentlich als „Mr. Cool“ bekannten Neuer doch sichtlich naheging.
„Ich bin so happy, wie ich selten happy gewesen bin, dass ich es geschafft habe“, sagte er bei einem seiner zig Interviews und gab zu, vor dem Anpfiff „doch ein bisschen aufgeregt“ gewesen zu sein. Der erste Gang aufs Feld, um 14.49 Uhr, war sogar „noch emotionaler“ als der Anpfiff, sagte er. Unter dem Applaus der halbgefüllten Arena und zum ACDC-Klassiker „Hells Bells“ war Neuer 323 Tage nach seinem folgenschweren Ski-Unfall herzlich empfangen worden. Als der Anstoß eine knappe Dreiviertelstunde später dann von Leroy Sané direkt zu ihm gespielt wurde, war er wieder mittendrin statt nur dabei. Und als Marcin Mehlem in der 36. Minute beim Stand von 0:0 alleine auf ihn zulief, zeigte er die erste (und einzig notwendige) Glanzparade in diesem Spiel, das er hinterher als „skurril“ bezeichnete. 75 000 Gäste – unter ihnen diverse Weggefährten von Neuer und natürlich seine schwangere Verlobte Anika Bissel – sahen drei Rote Karten und acht Tore; die wichtigste Geschichte des Spiels aber schrieb freilich Neuer.
„Man kann sich vorstellen, welches Mindset (Denkweise/d.Red.) man benötigt, um nach so einer Verletzung zurückzukommen“, sagte Thomas Tuchel und sprach von einer „sensationellen Leistung“. Das galt für Neuers Reha, begleitet von „Höhen und Tiefen“, aber auch für den ersten Auftritt auf dem Feld. Keine Sekunde ließ Neuer sich Unsicherheit anmerken, vielmehr dirigierte und gestikulierte er permanent. Er war da, als Tuchel seinen Kapitän für mehrmalige Systemumstellungen brauchte; und er war da, als der Trainer im Eifer des Gefechts mal kurz die Fassung verlor. Hattrick-Schütze Harry Kane sprach nach dem ersten gemeinsamen Einsatz nicht ohne Grund von einem „fantastischen Spieler, einer großen Persönlichkeit und einem super Anführer“ . Konrad Laimer blickte schon in die Zukunft und sagte: „Manu kann uns sehr viel helfen, dass wir alle einen Step in die richtige Richtung gehen.“
Anders als der Mittelfeld-Mann wollte Neuer erst mal das Hier und Jetzt genießen – und daher weder einen möglichen Einsatz im Pokal am Mittwoch in Saarbrücken noch den Kampf ums DFB-Tor direkt kommentieren („Themen von morgen“). Die Anzeichen, dass Neuer vier Tage nach seiner Rückkehr wieder zwischen den Pfosten steht, verdichteten sich aber gestern. Etwas undurchsichtiger ist die Lage in der Nationalmannschaft, in der Neuer Marc-André ter Stegen aktuell als „Nummer eins“ bezeichnete. Wohl ein wenig geflunkert nannte er sich selbst mit Blick auf die Heim-EM – wie er auch Julian Nagelsmann am Telefon versichert – „tiefenentspannt“.
Das galt übrigens auch für Lilien-Keeper Marcel Schuhen, der bei der Frage nach Neuers Trikot eine Abfuhr erhielt. „Beim Rückspiel“, sagte der Bayer und erntete Verständnis dafür, dass das Jersey vom 28. Oktober bei ihm bleiben muss. Untauschbar!