TV-KRITIK

Feine Adresse für die Öffi-Flüchtlinge

von Redaktion

Machen Freude: Thomas Wagner und Ricarda Funk.

Immer, wenn Olympia ist, raunen sich die wahren Sport-Aficionados ihren geheimsten Geheimtipp zu. Der wird seit Jahrzehnten von Generation zu Generation weitergegeben: „Ich schau Olympia nur beim Eurosport. Die Birgit Nössing mag ich viel lieber als die Müller-Hohenstein.“ Außerdem hat sie keinen Gockel. Und so schwören die Öffi-Flüchtlinge auf ihr Eurosport, wo Fabi Hambüchen die dreifache Kosakendrehung vorturnt und wo Sigi Heinrich (nicht verwandt oder verschwägert) englische Namen so baierisch ausspricht, dass Hubert Aiwanger grün vor Neid wird.

Macht das Eurolympia Spaß? Auf jeden Fall! Morgens um sieben ist hier die Welt noch in Ordnung. Dann holt Birgit Nössing, die formidable Sport-Lady aus Bozen, das Sportvolk mit „Bonjour Paris“ aus den Federn. Tagsüber läuft mit der „Medal Zone“ eine immerwährende Olympiakonferenz („Tor in Lille! Piaffe in Versailles!“). Und abends gibt’s alles Wichtige zum Dessert mit zwei Ausgaben von „Bonsoir Paris“. Eurosport nimmt sich auch mal mehr Zeit für eine Entscheidung, wie gerade beim Turnen mit „Simonä Beils“. Und wer mit der Auswahl im Free-TV bei Eurosport 1 nicht happy ist, schaut für 3,99 Euro im Monat mit Discovery+ einfach das, worauf er Lust hat. Dort liefen gestern Mittag 21 Olympiastreams gleichzeitig. Sieben Stunden Bogenschießen live von der Esplanade des Invalides? Pas de problème!

Läuft Werbung? Ja, wobei die kuriose Reklame schon wieder lustig ist. Loddar wirbt für ein audomobiles Pfandhaus: „Sofort Geld erhalten und das Auto weiterfahren!“ Das klingt hochseriös, wie damals mit den Ost-Immobilien. Poldi holt sich mit der Zasta-App seine Kohle vom Finanzamt zurück. Und dann empfiehlt wieder Loddar: „Die Schwiegermutter verkaufen? Besser gleich zu Pfando!“ Wobei bei ihm ja die Frage wäre: Welche von den ganzen Schwiegermüttern?

Kommen Menschen vor? Ja! Bei den Öffis ist es ja so, dass zwischendurch Alex Bommes durchs Bild huscht und sagt: „Jetzt kommt Tischtennis!“ Dann ist man weniger überrascht, dass gleich Tischtennis kommt. Eurosport ist früher stundenlang ohne Erklärmenschen ausgekommen, aber das hat sich geändert. Man hat jetzt einige Gesichter von unterschiedlicher Qualität. Eine Antonia Wisgickl erzählt immer: „Heute haben wir natürlich auch wieder ganz viel vor“, wobei einen eher das Gegenteil überraschend würde. Toll ist wie gesagt Signora Nössing, die auch bei ARD und ZDF ein Star wäre. Und der kurzweilige Thomas Wagner, der bei 42,7 Grad auf der Eurosport-Dachterrasse den tragbaren Hand-Ventilator zum „Mitarbeiter des Tages“ ernennt, macht auch Freude – nicht nur bei seinem Tête-à-Tête mit der supersympathischen Kanutin Ricarda Funk.

Hört man den Kommentatoren und Experten gern zu? Auf jeden Fall! Es gibt praktisch für jeden Sport versierte Erklärer, wie beim Hockey die quietschfidele Fanny Rinne oder beim Tennis der Alex-Bruder Mischa Zverev. Und bei den ganz großen Knallern erklärt Boris Becker amtlich, was Sache ist. Fabian Hambüchen backt in einem Moment Tarte au citron und erklärt im nächsten die Kosakendrehung. Und bei zwei Stunden Turnen mit Sigi Heinrich wird jeder zum Simone-Fan – vor allem, wenn er das Funktionärs-Gruselkabinett im Publikum auf die Hörner nimmt: „Gianni Infantino ist hier, das ist nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal.“ Eurosport schauen aber schon.

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