Man habe „ordentlich am Auswahlverfahren geschraubt“, kündigte, ganz in Blau, Linda Zervakis zu Beginn des Abends an. Nicht nur das Verfahren ist ein anderes, auch die Präsentation, wie sich gestern Abend live im Ersten zeigte. Eine überraschend lockere „Tagesschau“-Moderatorin löste heuer Entertainerin Barbara Schöneberger ab, die die vergangenen Jahre den deutschen Vorentscheid zum ESC moderierte. Zervakis zur Seite stand, mit gewohnter Gschertheit (und gemessen am Anlass leicht underdressed), Elton. Ob die neue, unglamourösere Tonart auch für die Wende beim ESC-Finale sorgt, muss sich nun aber erst noch zeigen. Die Aufgabe, besser abzuschneiden als die deutschen Vertreterinnen in den vergangenen Jahren, obliegt nun Michael Schulte. Der 27-Jährige aus Buxtehude (Niedersachsen) überzeugte zwei Jurys und das Fernsehpublikum – und fährt für Deutschland zum Finale am 12. Mai in Lissabon.
Mit „You let me walk alone“, einer Hommage an seinen verstorbenen Vater, schaffte Schulte das Kunststück, dreimal zwölf Punkte einzusammeln. Sowohl die 20 internationalen Experten als auch 100 ausgesuchte deutsche ESC-Fans und am Ende das Fernsehpublikum vergaben jeweils die Höchstpunktzahl. Auf Platz zwei landete der Münchner Xavier Darcy, der mit seinem munteren Folkrocksong „Jonah“ immerhin 25 Punkte schaffte. Auf Platz drei kam Sänger und Pianist Ryk mit „You and I“, vor Ivy Quainoo mit „House on Fire“ und der Band voXXclub. Die fünf Sänger aus Deutschland, Österreich und der Schweiz konnten mit ihrem Stimmungslied „I mog Di so“ am Ende immerhin Natia Todua („My own Way“) hinter sich lassen.
„Unser Ziel ist ein radikaler Neuanfang, bei dem nichts so bleiben soll, wie es war“, hatte ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber nach dem dritten Debakel in Folge versprochen: „Unser Ziel ist, den internationalen Publikumsgeschmack und die internationale musikalische Fachkompetenz konsequent zu berücksichtigen und international wiedererkennbarer, kantiger und erfolgreicher zu werden.“
Das Ergebnis waren Songs, die – mit Ausnahme des eingängigen „I mog Di so“ – keine Ohrwurmqualität hatten, dafür aber mit Herz und Leidenschaft vorgetragen wurden. Das Ganze eingebettet in klare Strukturen, ohne Zwischenrunden und immer neuen Abstimmungen – fast wie in den frühen Jahren des Grand Prix. Ein vertrautes Gesicht war dabei Kultmoderator Peter Urban, der allen Kandidaten bescheinigte, „viel Ausstrahlung“ zu haben. Die Reduzierung aufs Wesentliche – ein Signal für Lissabon? Am 12. Mai wird es sich zeigen.