Unser aller Betthupferl

von Redaktion

Das Sandmännchen, eine der Kultsendungen der Fernsehgeschichte, wird heute 60 Jahre alt

VON CORNELIA WYSTRICHOWSKI

Es hat einen weißen Spitzbart, trägt eine rote Zipfelmütze und benutzt gerne auffällige Fahrzeuge, von der Taucherglocke bis zum fliegenden Teppich – das Sandmännchen. Heute feiert das alterslose Männlein 60. Geburtstag. Am 22. November 1959 lief im DDR-Fernsehen die erste Gute-Nacht-Geschichte mit dem goldigen Kerlchen, dem nach wie vor allabendlich mehr als eine Million Fans zuschauen.

Kaum zu glauben, dass der Sandmann ein Kind des Kalten Kriegs ist. Der Premiere war ein kurioses televisionäres Wettrüsten im geteilten Berlin vorausgegangen. Das DDR-Fernsehen hatte Wind davon bekommen, dass die Westkonkurrenz vom damaligen Sender Freies Berlin (SFB) an einem Sandmännchen bastelte, und ließ den Regisseur und Puppenbildner Gerhard Behrendt (1929 – 2006) in aller Hast eine Gegenfigur kreieren, bei der Hans Christian Andersens Märchen „Der Sandmann“ Pate stand. Premiere war am 22. November 1959 beim Deutschen Fernsehfunk (DFF), die ARD war erst am 1. Dezember 1959 so weit.

Seit damals reist die liebenswerte Puppe jeden Abend per Bimmelbahn oder Betonmischer, Schlitten oder Schiff, Rikscha oder Rakete an, und präsentiert als Betthupferl kleine Filmchen. „Sandmann. lieber Sandmann, es ist noch nicht soweit. Wir sehen erst den Abendgruß, ehe jedes Kind ins Bettchen muss, Du hast gewiss noch Zeit!“ – Generationen von Fernsehanfängern können diese Sätze wohl bis heute auswendig. Mit den Worten „Nun schnell ins Bett und schlaft recht schön, dann will auch ich zur Ruhe geh’n“ und einer Prise Schlafsand schickt das Sandmännchen die Kinder danach ins Reich der Träume. In der ersten Folge war der weißbärtige Wicht zu Fuß unterwegs und schlief nach der Arbeit erschöpft im Schnee ein, weshalb ihm besorgte Kinder in Briefen ihre Bettchen anboten.

Die Geschichte des Sandmännchens bis 1989 ist auch ein Spiegel des DDR-Alltags – im Traumsand fand sich bisweilen ein Körnchen Sozialismus. So marschierte es 1981 in einem Spielmannszug der Pioniere mit, machte sich zuvor in den Siebzigern für das Wohnen im Plattenbau stark, tanzte durch den Palast der Republik und besuchte regelmäßig befreundete sozialistische Länder – es sonnte sich auf Kuba oder besichtigte den Roten Platz in Moskau. Legendär ist sein _Abstecher ins All. Als Sigmund Jähn im Jahr 1978 als erster Deutscher in den Weltraum reiste, hatte er eine Sandmännchenpuppe im Gepäck. Sein sowjetischer Kollege brachte die Fernsehpuppe Mascha mit, und die Figürchen feierten im Raumschiff vor laufender Kamera spontan Hochzeit.

Nach dem Fall der Mauer entbrannte ein zweites Duell, denn im Fernsehen war nur Platz für ein Sandmännchen. Das aus dem Osten siegte, sein Westkonkurrent („Nun, liebe Kinder, gebt fein acht, ich hab’ Euch etwas mitgebracht…“) landete im Archiv. Zuvor hatten die kleinen Kerlchen den Kindern hüben und drüben Jahrzehnte lang unterschiedliche Trickfilme mitgebracht. In der Bundesrepublik waren die Geschichten von Beppo und Beppi beliebt, in der DDR waren es Herr Fuchs und Frau Elster, Kobold Pittiplatsch und die Ente Schnatterinchen.

Das Sandmännchen entsteht unter Federführung des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) und läuft im Kinderkanal von ARD und ZDF (Kika) täglich um 18.50 Uhr. Rund 22 000 Ausgaben gab es bisher, nur selten ist die Sendung ausgefallen – eine der wenigen Ausnahmen war der Todestag des ersten DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl anno 1964.

Zum Jubiläum

gibt es ab kommenden Dienstag 13 neue „Pittiplatsch“-Folgen. Das RBB Fernsehen würdigt das Geburtstagskind außerdem heute um 20.15 Uhr mit der Dokumentation „60 Jahre süße Träume“. Schon seit Juni sitzt der Sandmann als Skulptur auf einer Bank vor dem RBB-Gebäude in Berlin.

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