Er wiegt 22 Kilo bei 1,14 Meter – ein Mann von 43 Jahren. Schauspieler. Tänzer. Erwin Aljukic. Ein Gendefekt hat seinen Körper deformiert – mit Knochen so zerbrechlich wie Glas. Rund 4000 Menschen in Deutschland teilen sein Schicksal. Erwin Aljukic hat Knochen wie Glas, aber einen Willen wie Stahl.
Als Kind bosnischer Einwanderer in Ulm aufgewachsen, träumte er von der Bühne, vom Film und coolen Klamotten. Als Kleinwüchsiger? Im Rollstuhl? Ja, genau! Und zwar unbedingt! Erwin Aljukic legt das Abitur ab, studiert an der Akademie für Mode und Design, tritt am Ulmer Studiotheater Podium auf und wird schließlich der Liebling in der ARD-Serie „Marienhof“ – elf Jahre lang, bis die Serie 2011 eingestellt wird. Für Erwin bricht eine Welt zusammen, aber er hängt sich wieder rein – in seinen Traum, mit Knochen wie Glas.
Und er schafft, was selten genug einem unversehrten Schauspieler gelingt: Er wird Ensemblemitglied am Staatstheater Darmstadt, wo er seinem Körper Atemberaubendes abverlangt – tanzend, spielend, bis zur Ekstase. Publikum und Kritik feiern ihn, und nun, im August, wechselt er an die Münchner Kammerspiele – unter der neuen Intendanz von Barbara Mundel. Erwin Aljukic darf bei der ersten Premiere mitspielen – mit Knochen wie Glas und einem Willen wie Stahl.
Doch wie geht es so einem Menschen in Zeiten von Corona? Die Reporterin hat sich mit Erwin Aljukic zum Spaziergang im Park verabredet – und schon von Weitem strahlt sein Lächeln, und die blauen Augen stehlen dem Himmel die Schau. Erwin Aljukic hat ein Charisma, das alle Maße und Zahlen überstrahlt. Nicht weniger als 42 Brüche und elf OPs haben seinen Körper gemartert. Krise, Ausnahmezustand, ein plötzlicher Einbruch in den Alltag – „ich kenne das zeit meines Lebens“, erzählt Erwin angesichts der Bedrohung durch Corona. „Ich brech’ mir was – dann ist Ausnahmezustand, sechs Wochen Gips. Oder ich muss operiert werden, damit es mir langfristig besser geht. Und genau das trifft jetzt auf alle zu: Etwas tun zu müssen, um langfristig zu profitieren.“
Für Erwin Aljukic sind die Maßnahmen lebenswichtig. Maske, Ausgangsbeschränkungen – er denkt sogar, es hätte früher sein können: „Ich habe panische Angst vor einer Ansteckung. Ich gehe auch kaum raus, Einkäufe übernehmen Freunde oder Nachbarn.“ Wegen seiner Behinderung hat Erwin ein vermindertes Lungenvolumen. Ansonsten aber fühlt sich Erwin topfit, macht regelmäßig Yoga, trainiert modernen Ausdruckstanz. Mit Knochen wie Glas und einem Willen wie Stahl.
Ob er auch glücklich ist? „Ja, voll!“, lacht er und schaut in den Himmel. „Ich merke, wie die Leute panisch sind, gesundheitlich, beruflich, und wie ich anders mit der Situation umgehen kann, weil ich schon durch so viele existenzielle Krisen gegangen bin. Ich habe mich immer auf die verbleibenden Möglichkeiten konzentriert.“
Wenn er da im Gras im Park liegt, ziehen Erinnerungen wie Wolken vorbei, Erfolge, Anstrengungen. Erwin Aljukic hadert selten mit seinem Schicksal, ein paar Mal ist es passiert – vor allem während seiner „Marienhof“-Zeit. „Das passiert, wenn du merkst, du gibst 150 Prozent, du gibst immer alles, und dann bekommen die eine Chance, die es sich ganz leicht machen, bloß, weil man dir es nicht zutraut.“ Jetzt, auf der Bühne, trauen sie ihm so vieles zu. „Die Leute können gar nicht glauben, was sie da sehen. In ,Ödipus‘ halte ich einen zehnminütigen Monolog auf einer drehenden Scheibe, robbe auf dem Boden vor 600 Leuten – ganz nackt.“
Ob Erwin seinen Körper liebt, mit Knochen wie Glas? „Ja! Ja, tatsächlich!“, akklamiert er. „Auch wenn ich mich nackt sehe: Ich mag meinen Körper wirklich. Ich mag mich auch spüren.“ Und es gibt da auch noch einen Wunsch: „Ich würd’ mein Glück gern teilen – dazu fehlt mir nur noch der Traummann.“