Der Film konzentriert sich auf die Geschehnisse im und rund um das Stade de France in Paris. Draußen hatten sich zwei der Attentäter in die Luft gesprengt, nachdem sie es nicht geschafft hatten, ins Stadion zu gelangen. © FIFE/afp
Es war ein wichtiges Spiel damals für ihn, 2015. Eines, mit dem er seinen Platz als junger Spieler in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft festigen wollte. Er spielte es zu Ende, obwohl er spürte, dass etwas nicht stimmte an diesem Abend des 13. November 2015 im Pariser Stade de France. Mit der Distanz von zehn Jahren sagt Julian Draxler: „Heute erscheint mir das Spiel so sinnlos, dass ich nicht mal mehr das Ergebnis weiß.“
Kurz bevor sich die Anschläge von Paris, die 130 Todesopfer, 350 Verletzte und unzählige Traumatisierte und eine verwundete Stadt hinterließen, zum zehnten Mal jähren, gibt es eine Dokumentation, die ab Donnerstag auf Sky und Wow verfügbar sein wird: „Die Nacht von Paris“. Gedreht hat sie Markus Brauckmann, der kürzlich im ZDF mit dem wunderbaren Potpourri über den FC Bayern als „FC Hollywood“ glänzte. Nun ist er im ernsthaften Fach zugange.
Brauckmann beschränkt sich auf einen Teilaspekt der Geschehnisse. Auf die rund um das Stadion, wo zwei der Attentäter sich in die Luft sprengten, nachdem sie es nicht geschafft hatten, hineinzugelangen. Potenziell hätte es beim Fußball im Pariser Vorort St. Denis die höchste Zahl an Opfern geben können. Und auch prominente: Politiker, Wirtschaftsgrößen, die auf dem Rasen vertretenen Stars. Doch vor allem dank des aufmerksamen Ordners Salim Toorabally, der in dieser Doku zu Wort kommt, ging alles relativ glimpflich aus mit einem zivilen Todesopfer. Verheerender waren die Anschläge in der Innenstadt, auf die Konzerthalle Bataclan, auf Restaurants.
Ein Coup des Films ist, dass François Hollande, der damalige französische Staatschef, sich vor die Kamera setzt und erzählt: Er habe ursprünglich gar nicht zum Spiel gehen wollen, dann aber erfahren, dass der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier komme. Also hin. Kurz vor der Halbzeitpause erfuhr Hollande vom Ausmaß des Terrors. Er forderte den französischen und deutschen Fußballverband auf, die Spieler nicht zu informieren, das Spiel sollte weiterlaufen, die Menschen ans Stade de France binden. Hollande rief aus dem Stadion heraus den Ausnahmezustand aus, ließ die Grenzen schließen, um die Flucht der Täter (später erfuhr man, sie waren aus Belgien angereist) zu unterbinden. Er selbst eilte, als die zweite Spielhälfte begann, in die Innenstadt, sein Sohn blieb im Stadion zurück.
Mannschaft und Betreuer mussten die Nacht in der Kabine verbringen. In Ungewissheit, „in Angst, dass noch was kommt“ (Boateng). Um 7.30 Uhr, als es hell wurde, brachte man sie zum Flughafen, Lufthansa-Chef Carsten Spohr, der auch im Stade de France war („Wir müssen aus Frankreich raus“), hatte den schnellen Rücktransport organisiert.
Der Film ist gut gemacht, spannend – und dennoch bleibt das Unbehagen einer falschen Gewichtung. Im Mittelpunkt stehen Fußballer, die, wie Regisseur Brauckmann sagt, „aus ihrer sonst so wohlbehüteten und nach außen hin abgefederten Welt herausgerissen wurden“ – doch sie waren nur Randfiguren in einer sehr viel größeren Geschichte und die wahrscheinlich am besten geschützte Gruppe in dieser Nacht. Jeder Zuschauer im Stade de France, der nicht wusste, ob er bleiben oder zur U-Bahn gehen sollte, jeder Passant im Herzen von Paris war realer bedroht in den Stunden vom 13. auf den 14. November 2015. Viele Leben haben sich verändert, die der Spieler nicht. Die schwere Erschütterung der ganzen Welt bleibt in dieser Dokumentation zu abstrakt.GÜNTER KLEIN