Schottland verneigt sich vor seiner Queen

von Redaktion

Gedenkgottesdienst in Edinburgh – Sarg der Königin wird für 24 Stunden aufgebahrt

London/Edinburgh – Es sind Tage tiefer Trauer, aber auch Tage der Entschlossenheit für Großbritanniens neuen Regenten. In seiner Antrittsrede als König vor dem britischen Parlament hat Charles III. angekündigt, dem Vorbild der verstorbenen Queen Elizabeth II. folgen zu wollen.

Seine Mutter habe „ein Beispiel selbstlosen Pflichtbewusstseins“ abgegeben, sagte der 73-Jährige gestern vor den Mitgliedern des Ober- und Unterhauses in der Westminster Hall. Er sei entschlossen, diesem Beispiel „mit Gottes Hilfe und Ihrem Rat treu zu folgen“. Die am Donnerstag mit 96 Jahren gestorbene Elizabeth II. war während ihrer 70 Jahre währenden Regentschaft stets auf politische Neutralität bedacht gewesen. Sie hatte ihre verfassungsmäßigen Pflichten wie die Eröffnung des Parlaments erfüllt, ohne jemals öffentlich ihre persönliche Meinung kundzutun.

Charles würdigte in seiner Antrittsrede die wichtige Rolle des Parlaments. „Das Parlament ist das lebendige und atmende Instrument unserer Demokratie“, sagte er. Der König verwies auf die „Last der Geschichte, die uns umgibt und die uns an die wesentlichen parlamentarischen Traditionen erinnert, denen sich die Mitglieder beider Häuser verschrieben haben“. Auf goldenen Thronen nahmen Charles und Königsgemahlin Camilla in der 900 Jahre alten Westminster Hall die Beileidsbekundungen der Parlamentskammern entgegen.

Nach seiner Rede flog der neue Regent mit seiner Frau nach Edinburgh, wo das Paar mit Jubel und Beifall empfangen wurde. Tausende Menschen hatten sich schon seit den Morgenstunden entlang der zentralen Royal Mile eingefunden, um später den von Charles angeführten Leichenzug mit dem Sarg der Queen zu sehen. Sie klatschten und jubelten, als das Auto mit der royalen Standarte an ihnen vorbeifuhr. In seiner Residenz, dem Palace of Holyroodhouse, wurde Charles mit Salutschüssen und der Nationalhymne begrüßt.

Vor der schottischen Residenz hat König Charles III. gestern auch symbolisch die Schlüssel zur schottischen Hauptstadt Edinburgh erhalten. In einer Zeremonie traf er dazu den Lord Provost – eine Art Oberbürgermeister. Wie es die Tradition gebietet, gab Charles daraufhin den Schlüssel zurück und bemerkte, dass es keine besseren Bewahrer gebe als den Lord Provost und die Abgeordneten. Das Ritual findet üblicherweise im Sommer statt, wenn das Staatsoberhaupt sich traditionell eine Woche in Edinburgh aufhält, bevor es sich auf den Landsitz Balmoral in den Highlands zurückzieht. Queen Elizabeth nahm noch im Juli an dieser Zeremonie teil.

Wie sehr die Queen der Familie fehlt, bekannte gestern ihr Lieblingsenkel Harry in seinen ersten öffentlichen Äußerungen seit dem Tod seiner Großmutter. Der 37-Jährige bezeichnete sie als „leitenden Kompass“ in seinem Leben. Er sei ihr „für immer dankbar“. „Du wirst schon jetzt schmerzlich vermisst, nicht nur von uns, sondern überall auf der Welt“, fügte er hinzu. „Danke für dein ansteckendes Lächeln. Auch wir lächeln, weil wir wissen, dass du und Opa jetzt wieder vereint seid, und beide in Frieden ruht.“ Der royale Aussteiger Harry, der seit 2020 in Kalifornien lebt, versprach zudem, seinen Vater Charles in dessen neuer Funktion als König zu „ehren“.

Am späten Nachmittag setzte sich der Trauerzug mit dem Sarg von Königin Elizabeth II. in Bewegung. Hinter dem Leichenwagen schritten der neue König Charles III., der älteste Sohn der Queen, sowie seine Geschwister Prinzessin Anne (72), Prinz Andrew (62) und Prinz Edward (58). Die Prozession führte von der königlichen Residenz Palace of Holyroodhouse ungefähr einen Kilometer zu der Kirche, wo sich bereits eine Trauergemeinde zum Gottesdienst versammelt hatte – darunter die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon und die britische Premierministerin Liz Truss. Tausende Menschen säumten die Straße, um einen Blick auf den Leichenwagen und die Königsfamilie zu werfen.

Der in die royale Standarte eingehüllte Sarg war zuvor von acht Kilt tragenden Soldaten zum Leichenwagen gebracht worden. Ein Dudelsackpfeifer spielte zu Beginn, bevor die Nationalhymne erklang. Eine Garde geleitete den Wagen bis zum Ziel. Während der weitgehend stummen Prozession wurden immer wieder Kanonenschüsse zu Ehren der toten Monarchin abgefeuert. Prinz Andrew trug als einziges der vier Queen-Kinder keine militärische Uniform. Die Queen hatte ihm Anfang des Jahres wegen dessen Verwicklung in den Missbrauchsskandal um den gestorbenen US-Multimillionär Jeffrey Epstein alle militärischen Dienstgrade aberkannt. Angeblich soll ihm nur bei einer einzigen Gelegenheit während der Trauerzeremonien das Tragen einer Uniform gestattet sein. Der geschlossene Sarg wird für rund 24 Stunden in der Kirche aufgebahrt. Am Abend konnte auch die Öffentlichkeit am Sarg Abschied nehmen. Tausende waren gekommen – während die Mitglieder der Königsfamilie eine stille Totenwache abhielten.

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