Los Angeles – Matthew Perry ist gerade mal Mitte 20, als er über Nacht zum Weltstar wird. Als einer der sechs „Friends“ wird er Teil des globalen kulturellen Gemeinguts junger Fernsehzuschauer aller Kontinente. Weil die „Friends“-Darsteller tatsächlich wie Freunde zusammenhalten und knallhart gemeinsam verhandeln, wird Perry auch einer der reichsten Schauspieler seiner Generation. Er und seine Co-Stars verdienen bald eine Million Dollar für eine abgedrehte Folge. Pro Staffel macht das 24 Millionen Dollar, Jahr für Jahr.
Perry datet Julia Roberts, dreht nebenbei erfolgreiche Komödien wie „Fools rush in“ (1997) mit Salma Hayek oder „Keine halben Sachen“ (2000) mit Bruce Willis und wird regelmäßig für den Emmy, den wichtigsten TV-Preis der Showbranche nominiert.
Alles läuft also perfekt für den jungen Mann, aber er kommt mit dem Erfolg nicht so gut zurecht wie die anderen. Ständig hat er Ärger mit den Produzenten wegen seiner stark schwankenden Figur, dazu gesellen sich legale und illegale Hilfsmittel gegen den Stress. Seine „Friends“-Kollegen schützen ihn und ziehen ihn durch, auch wenn Perry indisponiert bis unbrauchbar am Set erscheint. Perry ist dennoch das Humor- Kraftwerk der Sechserbande, oft improvisiert er und ist in der Regel witziger als die Drehbuchautoren. „Eigentlich spiele ich mich immer selbst“, sagt er gerne, wenn gefragt wird, wie er sich auf seine Rollen vorbereitet. Das ist natürlich kokettes Understatement, aber nicht völlig falsch. Perry ist auf den Typ des hippeligen, schlagfertigen irgendwie schrägen und dennoch sympathischen Witzbolds festgelegt. Er ist schon seit jeher der notorisch vorlaute Scherzkeks, was ihn als Schüler zum Schrecken des Lehrkörpers macht. Sein Schulleiter sagt ihm ein Leben in der Gosse voraus, vermutlich ist der Wunsch Vater des Gedankens.
Klar ist allerdings auch: Perry, die Nervensäge ist nicht für keine bürgerliche Laufbahn geeignet. Aufgewachsen in der beschaulichen kanadischen Hauptstadt Ottawa – die Mutter ist Medienberaterin des damaligen Premierministers – schickt man Perry zum Tennisspielen, um seine nervöse Energie zu bündeln. Perry schaffte es in die Top Twenty der kanadischen Jugendspieler, aber die Sportlaufbahn ist beendet, sobald die Familie nach Los Angeles umzieht – dort wird er regelmäßig vom Platz gefegt.
Durch den Vater, einen viel gebuchten TV-Darsteller, landet Perry früh vor der Kamera und fällt mit seiner Schlagfertigkeit sowie einem Gespür für Timing auf, das man vermutlich nicht lernen kann. Als nach zehn Jahren Schluss ist mit „Friends“ starten die drei drei weiblichen „Friends“ erst richtig durch, allen voran Jennifer Aniston, bei den Männern tut sich kaum noch was. Außer bei Perry, der trotz des Teufelskreises aus ständigen Abstürzen und Entzugskuren immer mal wieder gebucht wird – weil er gut ist. Rückblickend kann man in den Filmen und auch bei den „Friends“-Folgen erschreckend gut erkennen, in welchem Aggregatszustand sich Perry befindet. „Ich kann mich teilweise an ,Friends‘ erinnern“ scherzt Perry einmal rabenschwarz über seine eigenen Blackouts unter Alkoholeinfluss.
Er macht bei Weitem nicht die Karriere, die er hätte machen können, aber er bleibt im Geschäft, was ihm vielleicht zum Verhängnis wird. Womöglich wäre es gesünder gewesen irgendwo weitab von Hollywood das Leben zu genießen und zur Ruhe zu kommen. Perry selbst ist das Dilemma bewusst, er beschreibt es in seiner Autobiografie „Friends, Lovers and the Big Terrible Thing“ (Freunde, Liebhaber und die große schreckliche Sache) recht drastisch. Die „große schreckliche Sache“ ist vor allem der Alkohol, in dem Perry wiederholt wie im Treibsand versinkt. Er schreibt, er sei 65 Mal durch den Entzug gegangen und habe rund neun Millionen Dollar ausgegeben, um nüchtern zu werden.
Lange habe es gedauert, schreibt er, wie sehr der Versuch für andere witzig sein zu wollen, ihn daran hindere, einfach er selbst zu sein. Wie viele gute Komiker ist Perry zwanghaft darum bemüht,zu gefallen und in Wahrheit zutiefst verunsichert. Seine Schwäche ist auch Perrys Stärke – diese komplette Abwesenheit von Ausgeglichenheit, die Unfähigkeit, sich selbst auszuhalten, das perfektioniert Perry. Und er leidet darunter. Wenn man sich Interviews mit ihm ansieht, spricht da ein blitzgescheiter Mann, der genau weiß, was um ihn herum geschieht, der aber nicht recht zu wissen scheint, wie er damit umgehen soll – außer mit sarkastischem Witz. Nun ist Matthew Perry, der als Chandler Bing Fernsehgeschichte geschrieben hat mit nur 54 Jahren unter noch ungeklärten Umständen ums Leben gekommen. „Nachdem ich als Teenager meinen ersten Lacher auf der Bühne bekommen habe, war ich verloren“, hat er einmal gesagt. ZORAN GOJIC