Eine Buchstabiertafel erleichtert das Buchstabieren von schweren und seltenen Worten. © Steinach/Imago
München – Beim Telefonat mit der Krankenkasse oder beim Termin bei den Behörden läuft es wie gewohnt ab: „Maier mit M wie Martha, A wie Anton, I wie Ida, E wie Emil und R wie Richard.“ Was Millionen Deutsche täglich praktizieren, ist längst nicht mehr zeitgemäß. Seit Mai 2022 existiert eine komplett überarbeitete Buchstabiertafel für Wirtschaft und Verwaltung, die das vertraute „A wie Anton“ durch „A wie Aachen“ ersetzt hat. Das Deutsche Institut für Normung hat mit der DIN 5009 eine grundlegend neue Richtung eingeschlagen – weg von Vornamen, hin zu deutschen Städtenamen.
Während Behörden und Unternehmen theoretisch bereits zur neuen Systematik hätten wechseln können, buchstabieren die meisten Menschen weiterhin nach dem alten Schema. Die neue Buchstabiertafel führt systematisch durch die deutsche Städtelandschaft: von Aachen über Berlin und Cottbus bis hin zu Zwickau. Die Auswahl orientiert sich primär an bekannten Kraftfahrzeugkennzeichen, wodurch eine gewisse Vertrautheit gewährleistet werden soll. „F wie Frankfurt“, „H wie Hamburg“ oder „M wie München“ sollen intuitiver verständlich sein als die bisherigen Personennamen.
Doch hinter dieser scheinbar technischen Modernisierung verbirgt sich eine längst überfällige historische Korrektur. Die bislang verwendete Buchstabiertafel trägt noch immer die Handschrift nationalsozialistischer Ideologie. 1934 entfernten die Machthaber systematisch alle Namen, die sie als jüdisch einstuften. Aus „D wie David“ wurde „D wie Dora“; „S wie Samuel“ verschwand zugunsten von „S wie Siegfried“. Nach Kriegsende erfolgte lediglich eine oberflächliche Bereinigung der Buchstabiertafel. Namen wie David, Nathan oder Jakob fanden nie wieder Eingang in die offizielle Systematik. Jahrzehntelang nutzten Deutsche somit unwissentlich eine teilweise nationalsozialistisch geprägte Buchstabiermethode. Erst Dr. Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter Baden-Württembergs, rückte dies ins Bewusstsein der Normungsexperten.
Blumes Intervention beim Deutschen Institut für Normung löste einen grundlegenden Reformprozess aus. Die neue Städte-Buchstabiertafel sollte endgültig mit diesem historischen Erbe brechen und eine zeitgemäße, unbelastete Alternative schaffen. Gleichzeitig adressiert sie ein weiteres gesellschaftliches Problem: Die alte Tafel enthielt 16 männliche, aber nur sechs weibliche Vornamen – ein Ungleichgewicht, das nicht mehr der heutigen Realität entspricht.
Trotz der offiziellen Einführung vor über zwei Jahren stößt die neue Systematik auf erhebliche Akzeptanzprobleme. Die meisten Menschen haben schlichtweg keine Kenntnis von der Änderung und greifen weiterhin automatisch zu den vertrauten Formulierungen. „T wie Theodor“ fällt vielen noch leichter von den Lippen als „T wie Tübingen“.JANINE KARRASCH