zahl der Biobauern in der region nimmt zu

Ökoweide statt Leistungs-Tretmühle

von Redaktion

Wolfgang Ull aus der Gemeinde Samerberg war vor knapp zwei Wochen der 400. Bauer im Landkreis, der beim Landwirtschaftsamt Rosenheim einen Antrag auf Ökoforderung gestellt hat. Warum dieser Zeitraum eine Rolle spielt? Weil bis dato schon wieder zwölf weitere Betriebe nachgerückt sind.

Samerberg – Obwohl Bio mittlerweile ein fester Begriff im Verbraucherbewusstsein ist, ranken sich darum nach wie vor viele falsche Vorstellungen. Das meint zumindest Biobauer Wolfgang Ull aus der Gemeinde Samerberg. Falsch, so meint er, ist zum Beispiel die Vorstellung, Biobauern seien die edlen Ritter, die die Zeichen der Zeit erkannt hätten, während die konventionellen Landwirte Ewig-Gestrige seien, wenn nicht gar Finsterlinge, denen es nur um Profit geht. Eine Einschätzung, die vor allem die Viehhaltung betrifft: Hier die Kuh als geschätztes Individuum, dort als Produktionsmittel. Für Ull ist klar: Tiere sorgsam und artgerecht halten, bei Düngung und Fütterung überlegt handeln – das könne man auch im konventionellen Betrieb. „Wem hierfür aber der Sinn und das Gespür fehlt“, so meint er, „der wird weder im konventionellen noch im Biobetrieb Glück und Erfolg finden.“ Nicht vergessen werden dürfe in dem Zusammenhang, dass konventionelle Bauern nach wie vor den Großteil der landwirtschaftlichen Produktion sicherten. Würden auf einen Schlag alle auf Bio umstellen, so Ull, wäre wohl die Versorgung der Bevölkerung zunächst nicht zu gewährleisten.

Auch er stellte sich einst die Frage, wie er den Betrieb auf Dauer überlebensfähig machen könnte. Die Vergrößerung auf konventioneller Basis sei für ihn sehr wohl eine Option gewesen. Sogar eine durchaus naheliegende, wenn man an die nötigen Investitionen denkt.

Weniger Kühe, dafür kennt er ihre Namen

Wenn viel Geld in die Hand genommen werden müsse, erscheine es auf den ersten Blick vernünftiger, das für Erweiterung und Leistungssteigerung zu tun, während man bei einem Biobetrieb oft mehr Kapital in weniger Vieh und weniger Ertrag pro Tier und Hektar investiere. Warum sich Ull dennoch für die Biobauernvariante entschied, hat verschiedene Gründe: Der eine ist sicher, dass er als Mitbewirtschafter einer Alm schon Erfahrungen mit extensivem Betrieb gemacht hat und diese Wirtschaftsform sich mit seiner Vorstellung vom Bauer-Sein deckt. Da ist zum Beispiel die geringere Zahl der Kühe. Für ihn ist es wichtig, wie er sagt, dass er seine vierbeinigen Mitarbeiter noch beim Namen kennt.

„Ohne eine Beziehung zu den Tieren ist zum Beispiel Weidebetrieb kaum möglich.“ Die Kühe müssten ihrem Bauern schließlich nachlaufen – wenn stattdessen er ihnen hinterherrennen muss, etwa weil sie ihm nicht als „ihrem“ Bauern vertrauen, habe er schon verspielt.

Davon abgesehen geht es Ull aber auch ganz grundsätzlich um die Atmosphäre. Um es mit einem aktuellen Vergleich zu benennen: Ist der Milchstall mit Hochleistungskühen so etwas wie ein Olympiakader, könnte man den Bio-Stall mit der Umkleidekabine einer ländlichen B-Mannschaft vergleichen – es ist einfach alles ein wenig entspannter.

Bei aller Veränderung will Ull, wie er sagt, Herr über sich und das eigene Handeln bleiben und nicht nur getrieben werden von wirtschaftlichen Zwängen: „Erschreckend“ seien für ihn konventionell arbeitende Berufskollegen, die sich für Leistungssteigerung in ihrem Betrieb entschieden haben, aber unter der Last des deutlich erhöhten Arbeitsdrucks manchmal nach wenigen Jahren förmlich zusammenbrechen. Aus der Tretmühle aussteigen könnten sie aber nicht, wegen der Kredite und laufenden Investitionskosten.

Ull versucht deshalb auch, die Kosten für den neuen Stall, für Laufhof und Außenfuttertisch, die erfahrungsgemäß zwischen 6000 und 12000 Euro pro Tier liegen, durch viel Eigenarbeit an der unteren Grenze zu halten.

Amt rechnet durch,

ob sich Antrag lohnt

Seine gesamte Wirtschaftlichkeitsberechnung sei „nicht auf Kante genäht.“ Bei diesem wichtigen Punkt würden Bauern aber auch nicht alleingelassen, sie erhielten Unterstützung von verschiedensten Stellen. Etwa die Anbauverbände wie Demeter und Naturland, um die bekanntesten zu nennen; einem dieser Verbände muss sich der Landwirt, der auf Bio umstellen will, anschließen. Da ist vor allem auch das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF). Dort, erzählt Ull, habe man mehrmals überprüft, ob sich mit den zu erwartenden Einnahmen die Umstellungskosten wieder einfahren werden lassen. Die Einnahmen bestehen zunächst aus einem jährlichen Zuschuss des AELF von 273 Euro pro Hektar, resultieren aber letztlich aus einem Milchpreis, der etwa um ein Drittel höher ist als bei herkömmlicher Milch. Dazu soll dieser Milchpreis, soweit es geht, stabil gehalten werden.

Allerdings kann nicht unbegrenzt Biomilch produziert werden; die Molkereien versuchen, die Milchproduktion über die Zahl der unter Vertrag genommenen Betriebe unter Kontrolle zu halten. Der positive Nebeneffekt daran: Die Auswahl der Betriebe erfolgt sehr sorgfältig, was letztlich dem Verbraucher zugutekommt. Für Wolfgang Hampel, Leiter des AELF in Rosenheim, sind diese regulierenden Maßnahmen sehr wichtig: Auch wenn der Biomarkt bisher sehr stabil gewesen sei, so sei er dennoch „durchaus fragil“.

Stabiler Milchpreis ist entscheidend

Ohne Steuerung könnte das ganze System zusammenbrechen: Mit den Erlösen für die normale Milch sei ein Biobetrieb nicht zu finanzieren. In dieser Hinsicht sei es für die Biobauern eine Beruhigung, dass die im Entstehen begriffene „Groko“ in ihren Vereinbarungen auf eine Steigerung der Bioproduktion von 7,5 auf 20 Prozent bis 2030 vorgeschrieben hat: Der Wert biologischer Produktion sei damit politisch anerkannt.

Für Bauer Ull wird sich dadurch nichts daran ändern, dass er weiterhin ohne „Wir müssen die Welt retten“-Attitüde auskommt. Was bleibt, sind seine Skepsis gegenüber dem Prinzip der ständigen Leistungssteigerung und dass Geld anderswo mehr zählen soll als Lebensqualität von Mensch und Tier. Es ist damit ein Beispiel des veränderten Denkens, das für viele den Kern von „Bio“ ausmacht.

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