Chieming/Bernhaupten – Maria Pfeilstetter war eine, wie man heute sagen würde, taffe Frau. Der Erste Weltkrieg war gerade in vollem Gange, eine vernünftige Einkommensquelle musste her. In ihrem Heimatdorf Bernhaupten bei Bergen gründete die Chiemgauerin 1915 mutig den ersten Kramerladen, heute Edeka Pfeilstetter. Der Markt auf eher gemütlichen 70 Quadratmetern besteht heute noch und gehört mittlerweile zum großen Genossenschaftsverband Edeka Südbayern, derauf den Tag genau sein 100-jähriges Bestehen feiert.
Mehl und Zucker an der Theke, eine Brotzeit dazu
Der Blick zurück zu den Anfängen zeigt, wie sehr sich die Einkaufswelt verändert hat, aber auch, dass schon früh versucht wurde, dem Kunden eine Art Einkaufserlebnis zu bieten: Maria Pfeilstetters Laden etwa befand sich direkt neben der Dorfschmiede. Während also nebenan die Pferde frisch beschlagen wurden, ließen sich ihre Besitzer an Pfeilstetters Bedientheke Zucker und Mehl abfüllen, kauften Seifenstücke, Paketschnur und Schnupftabak, den Ratsch gab´s gratis dazu. Wer Hunger hatte, bekam eine gescheite Brotzeit.
„Offiziell war mein Großvater der Ladeninhaber. Damals war es auf dem Land noch nicht üblich, dass einer Frau ein Geschäft gehört“, erzählt heute die Urenkelin der Gründerin. Sie heißt auch Maria Pfeilstetter und hat bei Edeka Südbayern ein duales Studium in Großhandel und Betriebswirtschaft absolviert. Mit ihrer Schwester Anna will sie eines Tages das Unternehmen weiterführen.
Revolution: Selbstbedienung und Einkaufswagen
Ihr Großvater Joseph Pfeilstetter hat in den 1950ern aus dem kleinen Bernhauptener Kramer zunächst den größten Nahversorger im Chiemgau gemacht –von seiner Fläche her heute eher ein kleiner Markt. „Die Kunden durften sich selbst aus den Regalen bedienen, es gab die ersten Einkaufswägen. Das war eine Revolution“, weiß die Enkelin aus Erzählungen. Nicht jeder Kunde sei davon auf Anhieb begeistert gewesen. Noch heute schaue der Opa mit seinen 88 Jahren jeden Tag persönlich dort vorbei, schmunzelt die Enkelin. Ihr Vater wiederum, die dritte Generation der Pfeilstetters, baute seit den 1990ern die heute elf eigenen Edeka-Märkte auf, mit Standorten von Chieming bis ins Münchener Umland. Zuletzt hat man sich mit drei Märkten bis in den Münchener Speckgürtel vorgearbeitet. Der größte Markt befindet sich in Poing mit 1870 Quadratmetern Fläche: „Wir lieben nach wie vor unsere Ursprünge auf dem Land, können aber im Münchener Raum andere, neue Ideen umsetzen, die auf dem Land nur schwer angenommen werden“, schildert Maria Pfeilstetter. Viel eher würden vor den Toren Münchens etwa das Ausgefallene, Exotische gekauft, besondere Fleischsorten etwa. „Entsprechend angepasst ist das Sortiment.“ Auf der anderen Seite habe man dort sehr viel mehr mit Schnäppchenjägern zu tun. Mittlerweile geht es in puncto Nahversorgung auf dem Land nicht mehr so harmonisch zu, wie 1919 – der Discounter hat längst Einzug gehalten. Auch in der Nähe von Bernhaupten. Aber, so die Urenkelin, „Gott sei Dank hat uns das nicht sonderlich wehgetan. Man muss allerdings gut aufgestellt sein als inhabergeführter Markt.“ Etwa mit einem sich übers ganze Sortiment erstreckende Angebot an regionalen Produkten. Einem Lieferservice, den besonders ältere Kunden gern in Anspruch nehmen. Mit der Kassiererin, die die Kunden gut kennt. Mit Spielecken, damit am Samstag, der „ Familien-Einkaufstag auf dem Land“, wie Pfeilstetter beobachtet, entspannt ablaufen kann. Wenigstens an diesem Bedürfnis und am Wunsch, immer wieder überrascht zu werden, hat sich nichts geändert –seit mindestens 100 Jahren.