München – Der Mann, den alle suchen, ist spurlos verschwunden. Vor knapp zwei Wochen ist der von Wirecard gefeuerte Ex-Manager Jan Marsalek auf den Philippinen eingereist und kurz danach Richtung China weitergeflogen, sagen Unterlagen der dortigen Einreisebehörde.
Aber die sind gefälscht. Das musste der philippinische Justizminister Menardo Guevarra einräumen. „Die Einwanderungsbeamten, die diese falschen Einträge erstellet haben, wurden freigestellt und müssen nun mit verwaltungsrechtlichen Strafen rechnen“, erklärte er und konnte nicht ausschließen, dass der 40-jährige Manager sich vielleicht doch im Land aufhält. Es gebe viele Hintertüren auf einem Inselstaat wie den Philippinen.
Der flüchtige Österreicher hat seine Spuren gut verwischt. Lange sind philippinische Behörden auch davon ausgegangen, dass er trotz Coronazeiten als Ehemann einer philippinischen Staatsbürgerin ins Land einreisen durfte. Aber Marsalek ist ledig. Seine langjährige Freundin lebt in München, in dessen Vorort Aschheim (Kreis München) Marsalek über ein Jahrzehnt lang die operativen Geschäfte von Wirecard geführt hat. In dieser Funktion war der vor zwei Wochen vom Dax-Konzern fristlos gefeuerte Ex-Vorstand vor allem auch für den Aufbau eines Netzwerks aus Partner- und Tochterfirmen zuständig, die den Zahlungsdienstleister zu einem Weltkonzern gemacht haben.
So wie es aussieht, war er das aber nur auf dem Papier. Das Asiengeschäft, das in den Bilanzen in manchen Jahren für ein Drittel aller Umsätze und die Hälfte aller Gewinne steht, könnte komplett oder in großen Teilen frei erfunden sein. Für dieses Luft-Geschäft vorgehaltene Treuhandgelder über die Riesensumme von gut 1,9 Milliarden Euro haben vermutlich nie existiert.
Münchner Staatsanwälte, die an der Aufklärung eines der größten Wirtschaftsdelikte der deutschen Geschichte arbeiten, hätten viele Fragen an Marsalek. Gesprochen haben sie schon einmal mit ihm. Das war Anfang 2019. Damals hat Marsalek als Zeuge bei der Justiz ausgesagt, denn damals galt Wirecard vielen noch als Opfer.
Kurz zuvor hatten die britische Zeitung „Financial Times“ (FT) und deren Reporter Dan McCrum den ersten einer Reihe von Enthüllungsberichten über Scheinumsätze und gefälschte Wirecard-Bilanzen veröffentlicht, was den Aktienkurs in den Keller befördert hatte. Die Aschheimer hatten alle Vorwürfe dementiert, von einer Verschwörung krimineller Spekulanten gesprochen und Anzeige erstattet – selbst der Journalist geriet ins Visier. Gegenüber Staatsanwälten soll Marsalek sich als Zuständiger für „Feindaufklärung“ vorgestellt haben. Über Kontakte in die Londoner Finanzszene will er von einer Verschwörung gegen Wirecard erfahren haben. Dem öffentlichkeitsscheuen Manager gelang es sogar, die deutsche Finanzaufsicht Bafin zu überzeugen, die ebenfalls Strafanzeige gegen die „FT“, McCrum und Spekulanten stellte. Die Erkenntnis, dass in Wahrheit Wirecard der Bösewicht gewesen sein dürfte, dämmerte erst kurz vor der Pleite des Konzerns im Juni.