Peking – China legt eine höchst erfolgreiche Branche an die sehr kurze Leine: Private Bildungseinrichtungen dürften im Reich der Mitte keine Geschäfte mehr machen. Die Ankündigung vom Freitag ließ noch gestern die Börsenkurse in Fernost purzeln. Einzelne betroffene Unternehmen büßten über die Hälfte ihres Wertes ein.
Der Hang Seng Index (Hongkong) gab allein am Montag 3,9 Prozent nach und gestern noch einmal 4,2 Prozent, der Shanghai Composite verlor am Montag 2,4 Prozent und gestern noch einmal 2,5 Prozent. Die Talfahrt mit noch einmal gesteigertem Tempo ist ein Zeichen dafür, dass Anleger zunehmend daran zweifeln, dass ihr investiertes Geld im wachstumsstärksten Wirtschaftsraum der Welt noch in guten Händen ist.
Es gibt einen guten Grund dafür, warum private Nachhilfeschulen in China ein Milliardenmarkt wurden und warum die politische Führung mit Argusaugen darauf achtet. Dieser Grund heißt „Gaokao“. Das ist die „Hohe Prüfung“, die junge Chinesen absolvieren müssen. Sie wird oft mit dem deutschen Abitur verglichen, ist in Wahrheit in ihrer gesellschaftlichen Auswirkung etwas ganz anderes.
Während ein deutscher Abiturient auch mit mittelmäßigen Noten studieren kann und auch ganz ohne Reifeprüfung vielfältige Karrierechancen hat, ist Gaokao für die meisten Chinesen eine unumkehrbare Weichenstellung fürs weitere Leben. Wer zu schlecht abschneidet, für den ist die weitere Vita als Arbeiter vorgezeichnet. Wer besser ist, darf studieren. Doch in China ist Hochschule nicht gleich Hochschule und Abschluss nicht gleich Abschluss. Nur die Top-Standorte ebnen den Weg zu den Top-Jobs und zu wirklichem Wohlstand.
Da ist es kein Wunder, dass chinesische Eltern alles tun, damit der meist einzige Sohn oder die einzige Tochter möglichst gut abschneidet. Das heißt für die Eltern: Viel Geld für Nachhilfe investieren. Und das heißt für die Kinder auch außerhalb der Schulzeit und am Wochenende büffeln, büffeln, büffeln. Das wiederum machte erfolgreiche private Bildungseinrichtungen zu einer Goldgrube. Klar, dass Kinder armer Eltern sich die spätere Karriere dort nicht erkaufen können.
Es gibt also gute Gründe, am System etwas zu ändern. Und das tat der chinesische Staat – nicht durch Änderung beim unbarmherzigen Auslesesystem. Er reguliert den Sektor der privaten Nachhilfe neu. Folge: Die Firmen dürfen nicht mehr an die Börse. Sie dürfen keine Gewinne mehr ausschütten, sie werden sozusagen zur Gemeinnützigkeit verdammt. Handstreichartig hat damit die Staatsführung einem florierenden Wirtschaftszweig die Existenzgrundlage entzogen.
Dafür kann man gut die genannten Gründe geltend machen. Doch es handelt sich in China um keinen Einzelfall: Die Entmachtung von Alibaba-Chef Jack Ma, die Regulierung von Online-Kreditvermittlern, der Bann gegen den wenige Tage vorher an den New Yorker Börse gelisteten Fahrdienstvermittler Didi waren Eingriffe, die Aktienkurse einbrechen ließen und damit gewaltige Summen an Investorengeldern vernichteten. Und der nächste Regulierungsschauplatz in China zeichnet sich bereits ab: Am Montag kündigte Peking an, die Lage auf dem Immobilienmarkt zu verbessern. Die einschlägigen Aktien brachen ein. mp