Beim Gas droht neue Preisexplosion

von Redaktion

VON MATTHIAS SCHNEIDER

München – In Berlin soll am Freitag über ein prominentes Gesetz entschieden werden, das die Enteignung russischer Energie-Konzerne in Deutschland erleichtern soll. Weniger öffentliche Beachtung findet jedoch §24 der Novelle des Energiesicherungsgesetzes von 1975: Demnach sollen Versorger im Falle einer Gasmangellage die Kosten an ihre Kunden weiterreichen dürfen. Damit könnten sich die Heizkosten vieler Haushalte auf einen Schlag verfünffachen.

Wie konnte es so weit kommen?

Es ist das Geschäft der Energieversorger – wie Stadtwerken – aus den schwankenden Gasbörsenpreisen einen konkurrenzfähigen Verbraucherpreis zu mitteln. Das gelingt meist durch jahrelange Preisvereinbarungen mit den Großhändlern.

Durch die schnelle wirtschaftliche Erholung nach dem Corona-Tief 2020 haben sich die Börsenpreise für Erdgas Stand heute jedoch knapp verfünffacht. Versorger müssen also jeden Kubikmeter Gas, der über die bestellten Mengen hinausgeht, teuer bezahlen. Haben Kunden Bestandsverträge, deren Konditionen nicht verändert werden dürfen, müssen die Versorger die Differenz aus eigener Tasche bezahlen – selbst wenn sie dabei Verlust machen. Genau das soll sich jetzt ändern, heißt es im Entwurf des neuen Energiesicherungsgesetzes, der unserer Zeitung vorliegt und über das der Bundesrat am Freitag entscheidet.

„Wird die Gas-Notfallstufe durch verminderte Gasimporte aus Russland ausgerufen, können Energiehändler und Versorger die gestiegenen Beschaffungskosten an die Verbraucher durchreichen – auch bei Bestandsverträgen“, erklärt Detlef Fischer, Chef des Verbandes der bayerischen Energie- und Wasserversorger, den Inhalt des Papiers.

Das sei nötig, da in einem solchen Fall die bestehenden Lieferverträge der Versorger ausfielen und sie das Gas – zu enorm hohen Preisen – an den Börsen neu beschaffen müssten. „Die dafür zu zahlenden höheren Preise müssen von allen Kunden getragen werden“, erklärt Fischer, „passiert das nicht, gehen die Gasversorger pleite und die Versorgung mit Erdgas ist nicht mehr gewährleistet. Das wäre dann im nächsten Winter der Super-GAU.“

Laut Gesetzesentwurf müssten Versorger die Preiserhöhungen nur eine Woche im Voraus ankündigen. Fischer hält das für angemessen: „Länger können die Versorger nicht warten, da diese sonst ihre Rechnungen an die Vorlieferanten wegen eigener Liquiditätsengpässe nicht mehr bezahlen können.“

Die Maßnahme gelte jedoch nicht unbegrenzt: „Die gute Nachricht in schlechten Zeiten: Sobald die Gasmangellage endet, müssen die Energieversorgungsunternehmen den Preis wieder auf ein angemessenes Niveau absenken“, sagt Detlef Fischer.

Welche Alternativen es gibt? „Keine“, heißt es in der Beschlussvorlage knapp, der zuständige Ausschuss rät zur Annahme. Das Papier wird derzeit im Parlament diskutiert, Änderungen sind noch möglich. Dass Verbraucher bei Preiserhöhungen ein Sonderkündigungsrecht haben, ist nur ein schwacher Trost, denn alle Anbieter müssen an denselben Börsen einkaufen. Dort haben sich die Preise auf hohem Niveau eingependelt. Kostete die Kilowattstunde 2019 noch rund zwei Cent, sind es jetzt zwischen neun und elf Cent. Rein rechnerisch bedeutet das für einen Musterverbrauch von 20 000 Kilowattstunden 1600 Euro jährliche Mehrkosten.

Wohin die Preise bei einem tatsächlichen Gasmangel streben, ist ungewiss. Im Dezember hatten die Preise an den Spotmärkten, wo Kontingente sehr kurzfristig beschafft werden können, fast 20 Cent pro Kilowattstunde erreicht. „Das waren rein psychologische Preise“, erklärt Tobias Federico, Chef der Energieberatungsagentur Energy Brainpool. „Sollte es zu einem physischen Gasmangel kommen, sind auch Mondpreise bis zu 50 Cent möglich“.

Für Detlef Fischer ist deutlich, dass die Realität an den Märkten vielen Verbrauchern noch nicht bewusst ist: „Das Energiesicherungsgesetz wird seit 1975 zum ersten Mal im Eiltempo wieder umfangreicher angepasst.“ Für Branchenkenner zeige das den Ernst der Lage. „Den meisten Leuten in unserem Land ist das aber gar nicht klar. Sie steigen weiter unbesorgt in ihren SUV und in den Flieger, als ob die Welt noch wie früher wäre“, so Detlef Fi scher.

Das Risiko „unzumutbarer finanzieller Mehrbelastungen der Letztverbraucher“, also für Privathaushalte und Industrie, ist den Autoren der Beschlussvorlage bewusst. Sie fordern im Falle einer Gasmangellage „schnelle, unbürokratische und zielgerichtete Maßnahmen“, um soziale Härten und massenhafte Betriebsschließungen abzudämpfen.

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