Was ist bloß mit dem Euro los?

von Redaktion

VON ANDREAS HÖSS UND ROLF OBERTREIS

München – Es wurde länger darüber spekuliert, am Dienstag Vormittag war es dann so weit: Der Euro fiel kurz unter die Parität zum Dollar. Kurzzeitig musste man also minimal weniger als einen Dollar für einen Euro hinlegen. Es ist durchaus ein historisches Ereignis, so schwach war der Euro zuletzt bei seiner Einführung als Bargeld zum Jahreswechsel 2002. Zum Vergleich: Während der Finanzkrise im Jahr 2008, als in den USA der Immobilienmarkt kollabierte und Banken in den Abgrund riss, kostete ein Euro dann sogar 1,60 Dollar.

Dass der Euro zum Dollar seither fast 40 Prozent an Wert verloren hat, liegt an einem Mix aus Gründen. Die Euroschwäche ist erstens seit einiger Zeit auch eine Dollarstärke. Die „dürfte in der kernigen Zinswende der US-Notenbank begründet liegen“, erklärt Martin Lück vom weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock. Die amerikanische Fed hat die Zinsen bereits drei Mal erhöht, zuletzt um 0,75 Prozentpunkte. Europas EZB dürfte den ersten Zinsschritt dagegen erst am 21. Juli wagen. Die Zinsdifferenz macht Anlagen in den USA attraktiver, stärkt die Dollar-Nachfrage und schwächt Europas Währung.

Zweitens trifft der Krieg in der Ukraine Europa wegen der Abhängigkeit von russischem Gas viel stärker als die USA oder China. „Der jüngste Kursrückgang des Euro spiegelt die zunehmende Besorgnis über die Auswirkungen der Gaskrise in Europa wider“, sagt Steve Bell von der Fondsgesellschaft Columbia Threadneedle. Liefert Russland kein Gas mehr, stürzt Europa in einen tiefe Rezession. Der Kontinent gilt deshalb als Sorgenkind der Weltwirtschaft, weshalb Anleger ihr Kapital lieber in den USA oder Asien investieren. Sichtbar ist das an den Mittelzuflüssen in ETF genannte Indexfonds. Hier zogen Anleger laut Blackrock im Juni den vierten Monat in Folge bei Europa-ETFs massiv Kapital ab.

Hinzu kommen drittens längerfristige Faktoren. Der Anteil der EU an der globalen Wirtschaftsleistung fiel seit der Euro-Einführung von 20 auf unter 15 Prozent, als Reservewährung hat der Euro etwas an Bedeutung verloren, während Chinas Renminbi wichtiger wird. Zudem steckt die EZB in der Klemme: Sie muss mit einer strikteren Geldpolitik die Inflation bekämpfen, stützt andererseits aber seit Jahren mit niedrigen Zinsen und Anleihekäufen hoch verschuldete Staaten wie Griechenland oder Italien. „Die EZB muss ganz schön viele Bälle in der Luft halten“, sagt Devisenexperte Ulrich Leuchtmann von der Commerzbank. Bei Investoren gebe es manchmal Zweifel, ob sie das schafft.

„Die Währung gilt als Aktienkurs eines Landes“, fasst Robert Halver von der Baader Bank die Lage zusammen. „Demnach steht Europa aktuell nicht hoch im Kurs.“ Auch Unternehmen und Verbraucher spüren das. Energieimporte werden in Dollar abgerechnet, weshalb etwa Tanken und Heizen noch teurer wird als ohnehin schon. Das treibt die Inflation. Und Europas Unternehmen müssen nicht nur für Energie und Rohstoffe wie Aluminium, Stahl oder Kupfer mehr zahlen, sondern auch für in Übersee hergestellte Vorprodukte. Das besorgt etwa die Maschinenbauer. „Wir kaufen Komponenten noch teurer ein“, bestätigt Olaf Wortmann vom Branchenverband VDMA. Da tröstet es auch kaum, dass der Wechselkurs deutsche Waren in den USA oder China gerade preislich etwas attraktiver macht.

Doch wie wird sich der Eurokurs nun entwickeln? Einen weiteren Absturz erwarten die wenigsten Beobachter. Gemessen an seiner Kaufkraft sei der Dollar seit Jahren überbewertet, glaubt Deka-Chefökonom Ulrich Kater. Er sieht den Euro deshalb zum Jahresende bei 1,05 Dollar. Auch bei Blackrock geht man offenbar eher von einer Aufwertung aus. Die Fed bekämpfe die Inflation konsequent, da sei aber auch viel Schauspiel-Talent dabei. Am Ende werde sie die Zinsen nicht so drastisch erhöhen, dass sie die Wirtschaft komplett abwürge. Ähnlich sieht es die Commerzbank, die den Euro am Jahresende bei 1,10 Dollar erwartet. Die Prognose sei jedoch unter Vorbehalt zu sehen, so Commerzbank-Analyst Leuchtmann. Sie beruhe auf der Annahme, dass es keine Gaskrise in Europa geben wird. „Ob Putin den Gashahn zudreht oder nicht, weiß im Moment niemand“, sagt Leuchtmann. „Schließlich kann man Putin nicht in den Kopf schauen.“

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