Bayerns Europaminister Eric Beißwenger und Anuela Ristani, stellvertretende Bürgermeisterin für internationale Beziehungen in Tirana, auf dem Franz-Josef-Strauß-Platz in der Hauptstadt. © Fotos: Andreas Höß, vbw
Tirana – Als die Delegation über den von Plattenbauten umrankten Platz in Tirana marschiert, schauen die unter violetten Blutpflaumenbäumen sitzenden Alten von ihren Dominosteinen auf, legen Spielkarten beiseite, hören auf zu plaudern. „Da ist es ja“, ruft ein Delegationsmitglied und zeigt auf ein blaues Schild: „Sheshi Franc J. Shtraus“ steht dort, „Franz-Josef-Strauß-Platz“. Bayerns Europaminister Eric Beißwenger (CSU) wirft sich darunter in Pose, Fotografen knipsen. Es ist der heimliche Höhepunkt einer Delegationsreise.
Dass Politiker des Freistaats in der ehemaligen Ostblock-Diktatur auf Kuschelkurs sind, hat schon Tradition. Begonnen hat das vor etwa 40 Jahren das längst verstorbene CSU-Urgestein Strauß, der sich als Tourist hinter den Eisernen Vorhang mogelte und erste Beziehungen knüpfte, deshalb auch der Strauß-Platz. 2023 kam dann Ministerpräsident Markus Söder mit drei Versprechen im Gepäck: Fachkräfte nach Deutschland zu holen, sich für Albaniens EU-Beitritt einzusetzen und dem Strauß-Platz ein neues Schild zu spendieren – das alte war verrostet. Diese Woche nun gab sein Europaminister Beißwenger ein Stelldichein. Ein guter Anlaß, um zu fragen, was aus den Versprechen geworden ist.
Eines davon ist eingelöst: Das Schild am Strauß-Platz glänzt wieder. Die Sache mit den Fachkräften ist dagegen schwieriger. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), deren Spitzen mit Beißwenger vor Ort sind, hat zwar Mitte 2023 extra ein Büro in Tirana eingerichtet, das die Kooperation beider Länder fördern will. Dort sollen Bilder von Neuschwanstein, dem Maximilianeum oder dem Münchner Flughafen Auswanderwillige überzeugen, dass Bayern ein schönes, reiches und modernes Land ist. Geholfen hat das aber wenig. Über das Büro sind bisher nur eine Handvoll Fachkräfte nach Bayern gelockt worden, räumt die vbw ein, zudem gebe es nur eine zweistellige Zahl von Interessenten.
Nicht viel für ein Jahr. Doch woran liegt das? Büroleiterin Donatela Sadriaj zuckt die Schultern. „Auch an der deutschen Bürokratie.“ Obwohl Söder etwa für Pflegekräfte eine Fast-Lane angekündigt hatte, scheint diese Überholspur blockiert. „Oft werden Abschlüsse nicht anerkannt“, berichtet Sadriaj. „Dann bleibt nur das Losverfahren für ein Arbeitsvisum und da sind die Chancen gering.“ Hinzu kommt: Auch Albanien braucht dringend Arbeitskräfte, weshalb die Regierung den Exodus der Jungen stoppen will. Etwa dadurch, dass Ärzte einen Teil ihrer Ausbildung zahlen müssen, wenn sie direkt nach dem Examen das Land verlassen.
Von Fachkräfte-Abwerbung ist deshalb nichts mehr zu hören, als Beißwenger und die vbw-Vertreter am Mittwoch auf einer Ochsentour durch Albaniens Ministerien tingeln. Vielmehr spricht man bei Ministerpräsident Edi Rama, Außenminister Igli Hasani oder Wirtschaftsminister Blendi Gonxhja nun von „Partnerschaft auf Augenhöhe“. Beißwenger stellt Projekte im Tourismus oder Landwirtschaft in Aussicht, bietet zum Beispiel eine Kooperation mit der Hochschule Weihenstephan und eine Zusammenarbeit bei Erneuerbaren Energien an. Auch bei der Entwicklung des Tourismus in den albanischen Alpen könnte Bayern helfen. Die Albaner wünschen sich dagegen Direktinvestitionen in Infrastruktur und Industrie und möchten eine Hochschule, ein Pflegeheim sowie Hilfe beim Aufbau eines dualen Ausbildungssystems.
Auch wenn vieles noch vage ist: Die Bayern können sich vorstellen, auch dann mit Albanien Geschäfte zu machen, wenn es in der Fachkräfte-Frage weiter hakt. Beißwenger möchte das Land auf dem Balkan, das seine Stromversorgung schon jetzt fast komplett aus Wasserkraft speist, zudem gerne als Energielieferanten gewinnen. Und die vbw-Vertreter werden hellhörig, als es darum geht, dass das Urlaubsparadies auch kritische Rohstoffe haben könnte. Insgesamt ist Albanien aber schon deshalb spannend für sie, weil der Wohlstand dort zwar noch gering, das Wachstumspotenzial aber groß ist. „Die Albaner sind willens, etwas aus sich zu machen“, glaubt vbw-Präsident Wolfram Hatz. Und: „Auch wenn Albanien ein kleines Land ist, ist es der Schlüssel zum Westbalkan.“
Spätestens hier kommt die Karotte ins Spiel, die den Albanern vor der Nase hängt und mit der auch Söder und Beißwenger wedeln. 2009 reichte das Land sein EU-Beitrittsgesuch ein, seit 2014 ist es Beitrittskandidat. Heute hängen in der Stadt überall Schilder, auf denen „I love EU“ steht, die Europaflagge weht vor vielen Gebäuden. Die Albaner wollen unbedingt in die Union. Der Betritt sei „überfällig“, betonte Beißwenger nun beim Außenminister, Tirana sei ein Stabilitätsanker in der immer noch brodelnden Region. Er werde Albanien helfen.
Dafür erhält die CSU aus Albanien eine kleine Schützenhilfe im EU-Wahlkampf, wo sie einen härteren Kurs in der Migration fordert. Durch Albanien verläuft die Westbalkanroute und Tirana baut für Italien gerade Abschiebezentren auf seinem Staatsgebiet. Ähnliches habe man auch der Bundesregierung angeboten, die das aber ignoriert habe, steckt Ministerpräsident Rama in Albanien Minister Beißwenger, der das prompt ausplaudert, was den Druck auf die Ampel erhöhen könnte. Und das wiederum freut Bayerns CSU wohl noch mehr als ein neues Schild am Strauß-Platz in Tirana.