INTERVIEW

„Schulden machen reicht nicht“

von Redaktion

ifo-Präsident Clemens Fuest über die Aussichten für die Wirtschaft

Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts. © marcus schlaf

München – Nicht nur die OECD (siehe Artikel oben), auch das Münchner ifo-Institut hat seine Konjunkturprognose für Deutschland gesenkt. Im laufenden Jahr rechnen die ifo-Forscher mit 0,2 Prozent Wirtschaftswachstum. Im Winter waren sie noch von 0,4 Prozent ausgegangen. Die Rüstungs- und Infrastrukturpläne von Union und SPD sind in der Prognose noch nicht enthalten. Wir sprachen mit ifo-Präsident Clemens Fuest, welchen Effekt eine Umsetzung hätte.

500 Milliarden für Infrastruktur und die Möglichkeit, Verteidigungsausgaben mit Milliarden-Schulden zu finanzieren: Wie würde Ihre Konjunkturprognose aussehen, wenn Union und SPD ihre Pläne umsetzen?

Der Effekt hängt davon ab, wie die Dinge umgesetzt werden: Wenn sich die Politik darauf reduziert, einfach nur mehr Schulden zu machen, führt das einfach nur zu höheren Zinsen und vor allem einer höheren Inflation. Schulden zu beschließen ist leicht, das kann jeder – aber das reicht nicht.

Was fordern Sie konkret?

Das Schuldenmachen muss begleitet werden durch Reformen, die dafür sorgen, dass Bürokratie abgebaut wird, dass Genehmigungsverfahren beschleunigt werden, dass wieder mehr gearbeitet wird und dass es Anreize für Unternehmen gibt, in Deutschland zu investieren. Ist das der Fall, können die Pläne von Union und SPD die wirtschaftliche Entwicklung unterstützen.

Was müsste geschehen, dass wieder mehr gearbeitet wird?

Es gibt verschiedene Stellschrauben. Haben beispielsweise Arbeitnehmer wieder mehr Netto vom Brutto, gibt es einen Anreiz, mehr zu arbeiten. Denn aktuell beobachten wir einen Trend zur Teilzeit, der muss gestoppt werden. Dann brauchen wir eine Reform des Bürgergeldes, damit Menschen arbeiten gehen, statt Bürgergeld zu beanspruchen.

Von welcher Zahl sprechen wir?

Wir sprechen hier schon von mehreren hunderttausend Vollzeitarbeitskräften, wenn man das System reformiert. Diskutieren müsste man außerdem das Verrentungsalter.

Sie fordern, das Renteneintrittsalter von 67 Jahren anzuheben?

Nein, das nicht. Faktisch gehen viele heute deutlich früher als mit 67 Jahren in Rente. Dieses faktische Renteneintrittsalter müsste man anheben. Menschen, die im Ruhestand sind und noch fit sind, müsste man dazu bewegen, zu arbeiten. Und wir müssen über die Zuwanderung von Arbeitskräften sprechen und diskutieren, wie attraktiv es überhaupt ist, nach Deutschland zu kommen, um hier zu arbeiten.

Ist Deutschland für Zuwanderer unattraktiv?

Deutschland ist nicht unattraktiv, könnte aber deutlich attraktiver sein. Oft mangelt es an einer Willkommenskultur, auch Behörden sollten weniger bürokratisch arbeiten.

Angenommen, es kommt zu den von Ihnen geforderten Reformen: Warum wäre das Schuldenmachen aus Ihrer Sicht auf einmal richtig, wo Sie doch früher immer dagegen waren?

Richtig ist vor allem das Schuldenmachen für Verteidigung. Durch den möglichen Rückzug der USA aus Europa sind wir von einem Tag auf den anderen gezwungen, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, da wir gleichzeitig mit Russland ein Sicherheitsrisiko haben. Das alles abrupt über höhere Steuern und Ausgabenkürzungen zu finanzieren, wäre nicht sinnvoll gewesen. Vorübergehende Schulden sind in diesem Fall die bessere Lösung – die Betonung liegt auf „vorübergehend“: Langfristig müssen die Verteidigungsausgaben wieder aus laufenden Einnahmen finanziert werden.

Gleichzeitig stören die USA mit ihrer Zoll-Politik den internationalen Handel.

Allein das Androhen von Zöllen erschwert es Unternehmen zu planen. Das belastet die Konjunktur. Durch die erratische US-Politik ist zudem fraglich, ob die USA in Zukunft überhaupt noch der Anker für die Weltwirtschaft sein können. Das sind gravierende Fragen, die sich jetzt stellen und eine riesige Belastung für die Konjunktur – zumal für ein so außenhandelsorientiertes Land wie Deutschland.

Gibt es etwas, was Ihnen Hoffnung macht?

Meine Hoffnung ist, dass in der Politik erkannt worden ist, wie gravierend die aktuelle Lage ist und jetzt die Weichen richtig gestellt werden, weil es auch Chancen gibt.

Welche wären das?

Chancen auf mehr technologische Eigenständigkeit, Chancen auf mehr Innovationen in Europa, Chancen auf eine tiefere Zusammenarbeit in Europa. Wenn die USA ausfallen, können sich Deutschland und Europa in Zukunft als ein verlässlicher Partner in der Welt positionieren. Interview: Sebastian Hölzle

Artikel 6 von 11