INTERVIEW

Was wir von Schweden lernen können

von Redaktion

Bayerische Unternehmer: Vorbild beim Bürokratieabbau

In der Region Stockholm gibt es die größte Dichte an extrem erfolgreichen Start-ups in Europa. Beobachter führen das unter anderem auf die schlanke Verwaltung zurück. © Imago

Bürokratie gehört zu den größten Sorgen der deutschen Wirtschaft. Jedes Jahr kostet sie 146 Milliarden Euro, hat das Ifo-Institut errechnet. Doch es geht anders. Der Unternehmer Reinhard Scheuermann ist mit einer IHK-Delegation nach Schweden gereist. Er findet: In Sachen Verwaltung können wir von unseren Nachbarn viel lernen.

Herr Scheuermann, welchen Betrieb vertreten Sie?

Die Kemapack GmbH aus Landsberg am Lech. Wir beschäftigen uns mit Transportverpackung, also allem, was dafür sorgt, dass Waren gut beim Kunden ankommen. Wir sind ein Familienunternehmen, das in Landsberg 40 Mitarbeiter beschäftigt. Ich stehe der Firma in zweiter Generation vor, und die dritte klopft auch schon an die Tür.

Bürokratie soll ja eigentlich unser Wirtschaften regeln und ordnen. Wo wird es zu viel?

Es sind viele Kleinigkeiten, die in der Summe ein großes Problem werden. Mein Paradebeispiel sind Auslandsreisen: Ich brauche jedes Mal eine A1-Bescheinigung gemäß EU-Entsenderichtlinie. Ohne die darf ich keine Geschäftsbesuche machen, auf keine Messe gehen, gar nichts. Das gilt für jeden Mitarbeiter, auch bei Reisen innerhalb der EU. Das finde ich völlig wild. Außerdem habe ich in meinem Betrieb inzwischen mehr Beauftragte als Mitarbeiter. Ich muss sogar einen Leiterbeauftragten haben. Und da fragt man sich: Braucht es das auch noch? Das ist aber kein rein deutsches Problem: Kürzlich wurde in Brüssel die PPWR, die neue europäische Verpackungsverordnung, erlassen, laut der das Material zum Bändern und Wickeln ab 2030 zu 100 Prozent eine Mehrwegverpackung sein muss.

Also das Material muss nicht nur recycelt, sondern mehrfach verwendet werden.

Genau. Aber Stand heute geht das technisch gar nicht. Inzwischen hat man das in Brüssel auch eingesehen. Aber statt die Verordnung zu streichen, ist man dabei, eine Ausnahmeregel zu erlassen, die partiell das Inkrafttreten verhindert. Ich habe davor versucht, nach Brüssel durchzudringen, um die praktische Sicht einzubringen. Keine Chance, da findet kein Miteinander statt.

Sie haben sich die schwedische Verwaltung angeschaut. Was ist Ihnen aufgefallen?

Ich wurde überrascht. Ich bin in meinen 60ern und viele aus meiner Generation haben Schweden als sozialistisches Vorzeigeland im Kopf. Dabei herrscht gerade in den Verwaltungen eine sehr unternehmerische Denke. Wenn die eine Verordnung oder eine Verwaltung hochziehen, denken sie das vom Kunden her. Bei uns wird erst mal der Verwaltungsakt geschaffen und die Bürger müssen sich da reindenken. Einer unserer Ansprechpartner sagte uns, sein Arbeitsprogramm heißt: Die Beschwerlichkeiten müssen weg.

Wie drückt sich das aus?

Wenn ich erzähle, dass ich aufs Amt fahren muss, um ein Auto anzumelden. schauen die Schweden mich mit großen Augen an. Die haben eine Kfz-Nummer, die man ein Leben lang behält und mit dem man sein Auto online anmelden kann. In Schweden können Sie auch online ein Unternehmen gründen oder eine Immobilie kaufen. Ohne Notar, übrigens.

Macht die Regierung da solche Vorgaben oder woher kommt das?

In Schweden herrscht eine andere Mentalität. Da denkt man eher an die Gemeinschaft. Wir haben mit Vertretern der Gemeinde Nacka nahe Stockholm gesprochen. Die haben ihre Verwaltung aufgezogen wie ein schlankes Start-up. Es werden Ziele vorgegeben und dann die nötigen Entscheidungen dezentral ohne lange Kontrollschleifen getroffen. Ein Vertreter der Gemeinde hat uns gesagt: „Wir fordern das Gesetz heraus, um die Prozesse für unsere Bürger so praktikabel wie möglich zu machen.“ Das Ergebnis: schnelle Prozesse, niedrige Gebühren und ein ausgeglichener Haushalt.

Können Unternehmen davon profitieren?

In Stockholm gibt es die zweithöchste Dichte von Unicorns, also Start-ups mit Milliardenbewertung, nach dem kalifornischen Silicon Valley. Das zeigt, dass wir hier etwas lernen können. Was nicht heißen soll, dass es bei uns keine glanzvollen Initiativen gibt. Die UnternehmerTUM beispielsweise leistet bereits viel. Aber junge Start-ups tun sich hier mit Genehmigungen und Finanzierungsrunden einfach schwerer.

Was genau sollte Deutschland sich abschauen?

Wir als Unternehmen müssen uns jeden Tag fragen: Was will der Kunde? Und das sollte die Verwaltung auch tun. Ich habe den Eindruck, dass sich hierzulande Behörden und Bürger in ihre Festungen eingraben und dann aufeinander losschießen. In anderen Ländern gibt es dieses Misstrauen nicht. Da versucht man gemeinsam Lösungen für ein gedeihliches Miteinander zu finden. Ich glaube, dass jede Regulierung im Kern gut gemeint ist. Aber es sind einfach zu viele. Ein Ansatz zur Lösung könnte sein, dass die Behörden die Sinnhaftigkeit ihrer Verordnungen alle zehn Jahre überprüfen müssen.

Kommt die Botschaft an?

Auf der Schweden-Reise waren viele Verwaltungsfachleute verschiedener Rangordnungen. Die kämpfen mit ähnlichen Problemen wie Unternehmer. Auch die müssen diese Flut an Gesetzen und Verordnungen umsetzen. Und diejenigen, die ich kennengelernt habe, sind hochmotiviert und wollen etwas verändern. Das freut mich und macht mir Hoffnung.

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