AUS DER REGION
Neubeuern – Die Reitabteilung des TSV Neubeuern ist mit rund 70 Mitgliedern kein großer Verein, stellt aber jedes Jahr ein beeindruckendes Turnier auf die Beine. In diesem Jahr ein Fahrturnier um die Oberbayerische Meisterschaft der Zweispänner und die Bayerische Meisterschaft der Vierspänner, dazu noch „normale“ Wettbewerbe mit Einspännern. Manchmal kann der Erfolg erschrecken. Als Christian Brunner die Liste mit den Nachmeldungen bekommt und sieht, dass sich jetzt 130 Gespanne zum Fahrturnier des TSV Neubeuern angemeldet haben, bleibt ihm für einen Moment die Luft weg. Beim letzten Turnier waren es noch 64 gewesen, auf eine leichte Steigerung hatte er gehofft und war von vielleicht 80 Gespannen ausgegangen, doch 130? Christian Brunner ist Spartenleiter für den Pferdesport innerhalb des TSV Neubeuern und zusammen mit rund 20 Helfern der Organisator des Fahrturniers. Das, was ihm angesichts der vielen Anmeldungen die meisten Sorgen bereitet, ist, dass der Zeitplan ziemlich eng wird. Es darf nicht viel schief gehen, wenn man an den drei Turniertagen nicht bis in die Nacht hinein fahren will. Und schief gehen kann bei einem Fahrturnier so einiges. Das fängt beim sich Fertigmachen an. Beim Reiten ist es einfacher, da sind es nur der Reiter und sein Pferd, bei einem Fahrturnier kommt der Wagen hinzu, oft sind es zwei Pferde, manchmal sogar vier. Da brauchen sich nur ein paar Gespanne jeweils um ein paar Minuten zu verspäten, und schon gerät alles durcheinander. Beim Höhepunkt des Turniers, dem sogenannten Marathonfahren, fährt man nacheinander mehrere Prüfstellen ab. Die müssen jeweils in einer vorgegebenen Richtung durchfahren werden, sonst gibt es keine Punkte. Das heißt, die Gespannlenker müssen sich für alle Prüfstellen die genaue Fahrstrecke eingeprägt haben, im Idealfall so, dass sie sie im Schlaf kennen. Nur dann können sie den Parcours schnell durchfahren, denn natürlich geht es hier auch um die Zeit. Deshalb fährt in den Prüfstellen keiner langsam. Die Folge: Immer wieder verfährt sich mal einer. Das ist für Christian Brunner schlecht, denn es gefährdet seinen Zeitplan, und es ist für die Fahrer schlecht, denn es gefährdet eine gute Wertung. Aber für die Zuschauer ist es ein tolles Schauspiel: Wenn der Fahrer sein Gespann aus voller Fahrt ruckartig zum Stehen bringt, dann zu rangieren anfängt, indem er jedem seiner Pferde einzeln Kommandos zuruft, diese dann die Ohren drehen und – ganz offensichtlich jedes Wort verstehend – langsam das Gespann zurücksetzen, indem sie Fuß um Fuß nach hinten oder auch zur Seite gehen. Dass ein Wesen, das eigentlich ein Fluchttier ist, hier den Instinkt Instinkt sein lässt und voller Vertrauen das umsetzt, was der Mensch von ihm möchte, ist faszinierend anzuschauen. Oder anders ausgedrückt: Das, was für viele Fahrer die Hauptattraktion an ihrem Sport ausmacht, wird hier auch für den Zuschauer deutlich, nämlich dass Pferd und Mensch zu einem perfekten Team geworden sind, das sich blind vertraut. Ein mindestens ebenso perfektes Team bilden auch die Frauen und Männer rund um Christian Brunner. Das müssen sie auch, denn dem Verein geht es bei seinen Turnieren nicht nur darum, sie reibungslos über die Bühne zu bringen und auch mit Unerwartetem fertig zu werden, wie überraschend zahlreiche Anmeldungen in letzter Minute. Dabei wäre ein reibungsloser Verlauf allein schon eine beachtliche Leistung. Es müssen ja nicht nur gut 220 Pferde untergebracht und versorgt werden, es muss Platz für den Fahrzeugpark wie Pferdehänger, Wohnwägen und Wohnmobile geschaffen werden, es braucht Strom, Toiletten, Wasser. Und natürlich wollen nicht nur die Pferde, sondern auch die Fahrer etwas zu essen und zu trinken haben- bei den Pferden sind das in drei Tagen übrigens rund 20 000 Liter Wasser. Doch dem Verein geht es um mehr, man möchte immer noch gerne ein Tüpfelchen auf das „i“ setzen. Das funktioniert nur, weil der ganze Verein mit etwa 70 Mitgliedern sich diesem Ziel verbunden fühlt und an einem Strang zieht. Sogar Nicht-Mitglieder wie Tochter oder Sohn, Frau oder Mann helfen ganz selbstverständlich mit, zum Beispiel beim Aufbau der Hindernisse, beim Herrichten der Blumendekoration oder an der Kaffeebar. An dieser kann man übrigens sehr schön einen Punkt festmachen, der Christian Brunner ganz wesentlich am Herzen liegt: die Freundlichkeit. Es macht eben einen Unterschied, ob man seinen Zwischendurchkaffee in einem Pappbecher auf den Tresen geklatscht „Zucker ist da drüben“ oder wie in Neubeuern in einer Tasse und mit einem Lächeln serviert bekommt. Für Christian Brunner soll diese Freundlichkeit zusammen mit einer Liebe auch fürs kleinste Detail das „rote Band“ sein, das sich durch alle Neubeurer Turniere zieht. Nun ist es aber mit der Freundlichkeit wie mit dem Vertrauen von Pferd zu Mensch – man bekommt beides geschenkt, kann beides aber nicht erzwingen. Andererseits gilt: Ist sie erst einmal im Spiel, springt sie von einem zum anderen. Und ein Grundpotenzial an positiver Stimmung bringen schon die Teilnehmer mit: Fahrturniere sind auch für sie mit viel Aufwand verbunden, die Pferde – oft zwei oder mehr – müssen transportiert werden, dazu die Wägen. Das sorgt dafür, dass Turniere auch für die Fahrer samt den Angehörigen besondere Ereignisse im Jahr sind und von den Umständen her mehr an ein Fahrerlager erinnern oder an Camping mit Pferden. Von daher sind Fahrturniere von der Stimmung her fast ein Selbstläufer – vor allem, wenn man sich wie in Neubeuern mit dem gesamten Umfeld viel Mühe gibt. Die Folge: Das Neubeurer Turnier hat sich, wie die Anmeldungen dieses Jahres zeigten, mittlerweile zu einem „Geheimtipp“ unter den Fahrern entwickelt. Was natürlich Christian Brunner und sein Team gerne hören.