„Sie lernen hier nicht nur Deutsch“

von Redaktion

Wie Ukraine-Flüchtlinge am Dietrich-Bonhoeffer-Bildungscampus integriert werden

Bad Aibling – „Wir machen jetzt ein kleines Spiel – we do a little game“, sagt Lehrer Hans Schloder laut und deutlich. Er steht in einem Klassenzimmer und unterrichtet fast 30 Ukrainer, unter ihnen Kinder und deren Mütter, die kürzlich aus dem Kriegsgebiet nach Deutschland geflohen sind. Seit dem 16. März bietet der Dietrich-Bonhoeffer-Bilungscampus (DBBC) Bad Aibling kostenlose Sprachkurse für ukrainische Kinder gemeinsam mit ihren Müttern an und integriert die Geflüchteten in den Schulalltag. Bis zur kommenden Woche rechnet man in der privaten Ganztagsschule – mit Mittel-, Real- und Fachoberschule sowie einer Cambridge International School und Akademie – mit bis zu 50 ukrainischen Unterrichtsteilnehmern.

Lehrkräfte
spenden Stunden

„Als der Krieg begann, war klar, dass wir etwas tun müssen“, sagt Gesamtschulleiter Markus Schmidt. Als wenig später zahlreiche Anfragen kamen, stellte man rasch ein Unterrichtsprogramm für die Geflüchteten zusammen. „Innerhalb nur eines Tages hatten sich bereits 17 Teilnehmer gemeldet – und es werden immer mehr“, so Schmidt. Um neben dem üblichen Schulalltag sowie coronabedingten Ausfällen überhaupt ein adäquates Programm für die Geflüchteten stemmen zu können, erklärten sich die Lehrkräfte zu zahlreichen „Stundenspenden“ bereit.

Kooperationspartner eingebunden

Mittlerweile, koordiniert am DBBC, hat sich der Helferkreis vergrößert und man arbeitet mit Kooperationspartnern zusammen, so Schmidt. So werde man etwa vom Staatsinstitut für Fachlehrerausbildung unterstützt, indem sich in Ausbildung befindliche Fachlehrkräfte diverse Unterrichtseinheiten übernehmen. „Wir kooperieren beispielsweise auch mit B&O, dadurch werden Arbeitsplätze für die Erwachsenen vermittelt und Wohnraum zur Verfügung gestellt.“ Auch das benachbarte Deutsche Fußballinternat (DFI) und die Sportakademie unterstützen die Schule bei individuell wählbaren Unterrichts-Angeboten, etwa Sport. Durch das gemeinschaftliche Engagement wird ein täglicher Unterricht angeboten.

Laut Schmidt sei die „Resonanz groß“, die Integration funktioniere gut und das Angebot werde von Müttern und Kindern aus der Ukraine dankend angenommen. „Hier herrscht eine familiäre Atmosphäre, es ist mittlerweile selbstverständlich, dass sie hier bei uns sind“, so Schmidt. Ein Grund für den Erfolg sei das Konzept, dass Mütter und Kinder gemeinsam am Unterricht teilnehmen. „Sie sind sehr froh, dass sie sich nicht trennen müssen, gerade im Hinblick darauf, was sie in der Heimat erlebt haben“, erklärt Manuela Brinkmann, Mitglied des Leitungsteams am DBBC. Dadurch profitierten zum einen alle vom Unterricht, zum anderen werde ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. In verschiedenen Unterrichtseinheiten sind die Ukrainer teils unter sich und teils in der großen Schulfamilie integriert. „Beispielsweise beim Fußballspielen sind die Sprachbarrieren kein großes Problem mehr“, sagt Brinkmann. Denn neben der Vermittlung von Deutschkenntnissen lege man großen Wert darauf, dass die Ukrainer auch in anderen Fächern weitergebildet werden. „Es macht ja keinen Sinn, wenn sie hier nur Deutsch lernen, sie müssen ja auch rechnen, lesen und schreiben können“, sagt Markus Schmidt. Der große Unterschied zur Flüchtlingswelle von 2015 sei nun, „dass die meisten Ukrainer ja eigentlich nicht den Wunsch haben, hier zu bleiben.“ Auch wenn man noch nicht wisse, ob sie Monate oder vielleicht auch Jahre hierbleiben werden. Deshalb unterrichte man sie nun nach dem ukrainischen Curriculum, also nach einem Lehrplan, der auf das Schulsystem der Ukraine aufbaut.

Dafür stelle man derzeit ukrainische Lehrkräfte ein, die ebenfalls aus ihrer Heimat geflüchtet sind. Zusätzlich dazu gebe es den Deutschunterricht. Laut Gesamtschulleiter Schmidt sprächen die Ukrainer wenig über die traumatisierenden Erlebnisse, „da sie hier sehr viel Ablenkung haben.“ Zudem sei es eine ganz besondere Situation, Unterricht abzuhalten, in dem vom Einjährigen bis zur 63-Jährigen alle Altersgruppen vertreten sind.

Keine Kosten
für die Teilnehmer

Er rechnet mit weiteren Interessierten, die meist über ihre Gastfamilien vermittelt würden. Irgendwann, erklärt Schmidt, komme man allerdings an die Grenze des Leistbaren. Durch das ehrenamtliche Engagement der Lehrkräfte sowie die finanzielle Unterstützung des Trägers entstünden für die Teilnehmer keine Kosten. „Wir halten es für wichtig, dass gerade die jüngeren Kinder sich zusammen mit den Müttern in die neue Situation einleben können. Die Mütter sind ebenfalls dankbar, sich nicht trennen zu müssen, gleichzeitig Deutsch zu lernen und eine Tagesstruktur für die Familie zu gewinnen,“ so Schmidt.

Kultusministerium
will helfen

Im Übrigen gebe es bereits zwei ukrainische Kinder, die aufgrund ihrer guten Deutschkenntnisse in die Mittel- und Realschule integriert wurden. Laut dem bayerischen Kultusministerium soll geflüchteten Kindern generell „so rasch wie möglich nach ihrer Ankunft in Bayern die Möglichkeit zum Schulbesuch eröffnet werden.“ Auch wenn die gesetzliche Schulpflicht erst nach drei Monaten einsetzt, gebe es bereits vorher die Möglichkeit, ein schulisches Angebot zu besuchen, etwa in Form von „pädagogischen Willkommensgruppen.“ Das Bad Aiblinger Projekt am DBBC zeigt, wie schnelle Integration in den Schulalltag funktionieren kann.

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