Bad Aibling – Seit Beginn der Legislaturperiode des amtierenden Stadtrates im Mai 2020 hatte der einzige AfD-Politiker im Gremium, Andreas Winhart, in keinem der Ausschüsse einen Sitz. Im Gegensatz zu den jeweils ebenfalls einzigen Vertretern von Bayernpartei und ÖDP, Florian Weber und Anna Maria Kirsch, die sich zu einer Ausschussgemeinschaft zusammenschlossen, die fortan mit je einer Person in Bau-, Haupt-, Werk-, Sozialausschuss sowie im Ausschuss für Klima, Stadtentwicklung und Gesamtverkehrsplanung vertreten war. Dies sei, so Bürgermeister Stephan Schlier (CSU), gemäß der damaligen Rechtssprechung erfolgt.
Künftig wird es genau andersherum sein. AfD-Rat Andreas Winhart hatte eine Neubesetzung gefordert, indem er Bezug auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs München nahm: Parteien und Wählergruppen, also die Fraktionen und die Gruppierungen unterhalb der in der Geschäftsordnung vorgesehenen Fraktionsstärke, hätten einen einklagbaren Rechtsanspruch darauf, dass ihnen in Ausschüssen so viele Sitze zugeteilt werden, wie es ihrem Stärkeverhältnis zueinander entspricht.
Besseres
Ergebnis erzielt
Winhart betonte, dass die AfD bei der Kommunalwahl 2020 in Bad Aibling mit 8498 Stimmen ein besseres Ergebnis erzielt habe als Bayernpartei (7421) oder ÖDP (6153).
Nur durch die Bildung einer Ausschussgemeinschaft von BP und ÖDP hatte die AfD keinen Ausschusssitz erhalten. Im VGH-Urteil heißt es nun jedoch, dass „die vollständige Verdrängung der kleinsten an sich ausschussfähigen Gruppe zugunsten einer bloßen Zählgemeinschaft von noch kleineren Gruppierungen nicht mehr als taugliches Instrument des Minderheitenschutzes angesehen und daher als zulässige Durchbrechung des Spiegelbildlichkeitsgrundsatzes gerechtfertigt werden kann“. Ausschussgemeinschaften würden weder als solche vom Volk gewählt, noch würden sie über die Ausschusswahlen hinausgehende gemeinsame politische Ziele verfolgen. „Ihre Berücksichtigung aus Gründen des Minderheitenschutzes darf daher nicht zu einer erheblichen Verzerrung der Kräfteverhältnisse führen.“ Dem Wählerwillen sei Vorrang einzuräumen.
Die Stadtverwaltung hat die Angelegenheit laut Bürgermeister Stephan Schlier (CSU) sowohl durch den Bayerischen Gemeindetag als auch das Landratsamt Rosenheim als Rechtsaufsichtsbehörde prüfen lassen: „Demzufolge ist dem Antrag von Stadtratsmitglied Winhart weitgehend zu entsprechen“, so Schlier.
Der Bürgermeister legte Wert auf die Feststellung, dass es bei der Abstimmung nicht darum gehe, wen man lieber in den Ausschüssen sähe, mit wem man politisch besser zusammenarbeiten könne oder wie sich Mehrheiten am ehesten schaffen ließen. „Wir vollziehen hier Kommunalrecht. Das ist wichtig, damit der Stadtrat handlungsfähig bleibt. Stimmen wir nicht zu, fassen wir in den kommenden Sitzungen Beschlüsse, die vom Landratsamt nicht als rechtsgültig anerkannt werden.“
Das sah BP-Rat Florian Weber ganz anders. „Natürlich erkennen wir das VGH-Urteil an und stellen es überhaupt nicht infrage. Aber wir sind der rechtlichen Auffassung, dass hier ein Fehler vorliegt. Unser Fall ist anders gelagert, deswegen greift das Urteil bei uns nicht.“ Jedoch habe auch ein diesbezügliches Schreiben der anwaltlichen Vertretung der Ausschussgemeinschaft die Behörden nicht zu einer anderen Stellungnahme bewegt.
„Die Rechtslage ist leider eindeutig, ob es uns passt oder nicht“, bedauerte ÜWG-Rat Dieter Bräunlich. Die beiden Ratskollegen hätten in den Ausschüssen gute Arbeit geleistet und es täte ihm leid, auf sie zu verzichten. Deshalb schlug er vor, die Zahl der Ausschuss-Sitze von zehn auf 14 zu erhöhen. „Das wäre der Königsweg. Ich weiß, das ist viel, aber ich möchte die beiden im Gremium halten.“
Diesen Vorschlag hielt Schlier allerdings für nicht sachdienlich. „Das wäre dann nur minimal kleiner als im Extremfall der Stadtrat. Wir haben uns damals bewusst für die Zehner-Besetzung entschieden und sollten nicht an der Größe feilen, nur weil einem die Besetzung der Ausschüsse nicht passt.“ Zudem sei es nach Aussage des Bayerischen Gemeindetages fraglich, ob die Ausschussgröße während der laufenden Legislaturperiode geändert werden kann.
„Wir müssen uns an das halten, was Landratsamt, Gemeindetag und Gericht sagen, auch wenn es möglicherweise nicht dem entspricht, was wir uns wünschen. Wir können unmöglich davon abweichen, denn eine daraus resultierende Rechtsunsicherheit können wir uns nicht leisten“, betonte Richard Lechner (SPD). Es könne nicht Aufgabe des Stadtrates sein, das Risiko einzugehen und unwirksame Beschlüsse zu fassen. „Ich finde es aber auch sehr schade um die beiden Kollegen, die zum Teil wertvolle Beiträge gebracht haben, auch wenn diese nicht immer meiner Meinung entsprachen.“
Thomas Höllmüller (CSU) stieß in das gleiche Horn: „Ich bedaure es, dass wir das wohl so entscheiden müssen, wie es beantragt ist. Auch wenn es wehtut. Aber wir müssen handlungsfähig bleiben.“ Er verlieh der Hoffnung Ausdruck, dass man „vielleicht in ein paar Monaten die Zahl der Ausschusssitze auf elf erhöhen“ könnte.
Anita Fuchs (Grüne) griff zu drastischeren Worten: „Mein Rechtsempfinden als Nichtjuristin ist massiv gestört. Wenn wir der Rechtsauffassung von Gemeindetag und Rechtsaufsicht folgen, werden BP und ÖDP als legale Ausschussgemeinschaft benachteiligt.“
Sie verwies darauf, dass es für den letzten zu vergebenden Ausschusssitz zu einer Pattsituation zwischen AfD, ÖDP und BP käme, würde man die Auszählung nach dem sogenannten Hare-/Niemeyer-Verfahren betreiben. Diese könne nur per Losverfahren gelöst werden. Das sei gerecht, denn so habe jede Partei dieselbe Chance: „Das kommt dem Gebot der Spiegelbildlichkeit am nächsten.“
Unterlegene Parteien
erwägen Klageweg
Bei drei Gegenstimmen entschied sich die große Stadtratsmehrheit für die Neubesetzung der Ausschüsse. BP-Rat Florian Weber erklärte auf Nachfrage der OVB-Heimatzeitungen, er und Anna Maria Kirsch ließen die Entscheidung gerade juristisch prüfen und erwägen, den Klageweg zu beschreiten. In den künftigen Ausschusssitzungen werden beide jetzt nicht mehr vertreten sein. Weber war seit seiner Wahl in den Stadtrat 2014 im Zuge der Ausschussgemeinschaft – damals mit dem früheren ÖDP-Rat Wilhelm Bothar – ununterbrochen in Ausschüssen tätig, Anna Maria Kirsch seit Mai 2020.