Urlaubs- statt Stundenpläne

von Redaktion

Schulleiter Walter Baier nimmt Abschied vom Gymnasium Bruckmühl

Bruckmühl – Wenn Walter Baier (65) am Dienstag, 10. September – dem ersten Schultag nach den Sommerferien – mit einem Kaffee startet, wird etwas grundlegend anders sein, als in den vergangenen Jahrzehnten. Der Schulleiter wird weder aus seinem Bürofenster auf den Vorplatz des Gymnasiums Bruckmühl blicken, noch wird der Kaffee von den Mitarbeiterinnen des Schulsekretariats aufgebrüht worden sein. Stattdessen wird der 65-Jährige vermutlich auf weiße Häuserfassaden, mediterrane Pflanzen und vielleicht sogar das Meer blicken. „Ich werde zum Schulstart in einem Café in Griechenland sitzen und herüberwinken“, verrät der Schulleiter. Denn Baier, erster Leiter der 2003 eröffneten Schule, verabschiedet sich in den Ruhestand.

Frühstart
in die Rente

„Vor einigen Monaten habe ich mir die Frage gestellt: Wie geht es mir eigentlich?“, erinnert sich Baier. „Und da musste ich mir selbst eingestehen, dass es Momente gibt, in denen ich nicht mehr so viel Energie habe.“ Doch das ist für den langjährigen Schulleiter nicht der Hauptgrund, wieso er nach diesem Schuljahr einen kleinen Frühstart in den Ruhestand hinlegt. Die Hauptgründe hängen mit seiner Nachfolgerin und derzeitigen Stellvertreterin Alexandra Eberhardt zusammen: So könne sie zum einen aufgrund der Wiedereinführung von G9 im ersten Jahr an der Spitze ein Jahr ohne Abitur-Stress erleben, zum anderen sich noch besser auf die Beurteilung der Lehrkräfte, die alle vier Jahre anstehe, vorbereiten.

Was Eberhardt ihre neue Aufgabe zudem relativ leicht machen sollte? Der scheidende Schulleiter, der in den vergangenen 21 Jahren für seine Fahrten vom Wohnort Sauerlach (Landkreis München) bis zur Schule hunderttausende Kilometer runtergespult hat, hinterlässt seiner Nachfolgerin einen „funktionierenden Schulbetrieb“, wie er findet: „Wir haben ja einen sehr guten Ruf, den wir uns auch erarbeitet haben.“

Erarbeitet – das passende Stichwort, wenn es um die Karriere des gebürtigen Münchners geht. Auch wenn Baier davon spricht, auf seinem beruflichen Weg „viel Glück“ gehabt zu haben. Nach seinem Studium in München und der Referendarzeit in Unterschleißheim war er zunächst zehn Jahre als Musiklehrer am Gymnasium Unterhaching, heute Lise-Meitner-Gymnasium, beschäftigt, ehe er ins Kultusministerium abberufen wurde. Eine Zeit, die er als „Übergangsphase“ bezeichnet und in der er überlegt habe, „was und wo ich aktiv zukünftig etwas beitragen kann“.

Baier wurden schließlich zwei Stellen in Aussicht gestellt: Zum einen die Position eines Abteilungsleiters an einer Münchner Schule, zum anderen die Stelle des Leiters des Bruckmühler Gymnasiums, das aber zu diesem Zeitpunkt erst noch gebaut werden musste. Eine Bewerbung auf die Stelle in München kam für den Musiklehrer nicht infrage, da „meine Kinder dort auf der Schule waren“. Stattdessen bewarb er sich um die Schulleiter-Position in Bruckmühl – laut Baier „das einzige Mal in meinem Leben, dass ich mich überhaupt irgendwo bewerben musste“ – und wurde genommen.

Zunächst wurde der Pädagoge allerdings für ein Jahr als „normaler“ Lehrer am Gymnasium Oberhaching „geparkt“, was er im Nachgang ebenfalls „als Glücksfall“ bezeichnet. „Das war gut, dass ich nach dem Ministerium dort wieder einmal die Realität erleben konnte“, so der gebürtige Münchner, der noch ein weiteres Mal im Lauf seiner Karriere „Glück“ gehabt hat. „Ich war ja niemals irgendwo stellvertretender Schulleiter“, erzählt Baier. „Ich hatte aber das Glück, dass mir einige Zeit davor ein Lehrgang für Verwaltungsführung angeboten worden ist. Da konnte ich dann lernen, wie man managt.“

An den Start an der neuen Schule in Bruckmühl erinnert sich Baier gerne zurück. „Ich werde die Anfangsjahre dort nie vergessen“, sagt der 65-Jährige. „Bei so einer Neugründung ist es ja für alle Beteiligten ein absoluter Motivationsschub, Schule neu zu denken.“ Und das habe er gemeinsam mit seinem Team gemacht. „Das Profil, das wir uns gegeben haben, war ‚Wertschätzende Schule‘ – und zwar in jeder Hinsicht“, erinnert sich der scheidende Schulleiter. „Wir wollten eine Schule entwickeln, in der professionell und auf Augenhöhe aller Beteiligter Probleme gelöst und die Kinder auf das Leben vorbereitet werden. Und das hat funktioniert.“

Staunende Augen
der Fünftklässler

Und was war das Schönste während seiner Jahrzehnte im Schuldienst? Da muss Baier nicht lange überlegen. „Die beiden schönsten Tage im ganzen Schuljahr waren immer der erste Schultag, wenn die neuen Fünftklässler mit ihren staunenden Augen in die Schule gekommen sind, sowie die Abiturfeier, wenn man junge Erwachsene, die man noch als Kinder kennengelernt hat, verabschiedet.“ Schließlich sei man in den ganzen gemeinsamen Jahren „richtig zusammengewachsen“, zumal „in dieser Zeit die Schule oftmals wichtiger als das Elternhaus“ werde. Weshalb auch seine Antwort auf die Frage, welche Erlebnisse am schlimmsten für ihn waren, nur konsequent klingt: „Die Corona-Zeit!“ Man habe seitens der Schulverantwortlichen schnell gespürt, „dass mit den Lockdowns etwas schiefläuft und diese Zeit nicht mehr aufzuholen ist.“ Wobei ihn vor allem Appelle der Politik an die Kinder wie „Ihr dürft ja nicht Omi und Opi anstecken!“ heute noch ärgern, da „den Schülern damals sogar ein schlechtes Gewissen eingeredet worden ist“. Baier ist überzeugt davon, dass während dieser Zeit „Sozialphobien bei Schülern entwickelt worden sind, die sonst nicht entstanden wären“. Und dennoch kann er sogar dieser Zeit etwas Positives abgewinnen: „Danach haben wir plötzlich erlebt, wie gerne die Schüler wirklich in die Schule kommen.“ Die Schüler – die wird der begeisterte Musiker nach eigenen Angaben besonders vermissen. „Ich glaube, dass die mich in gewisser Weise jung gehalten haben“, sagt Baier, der aber letztlich alle Mitglieder der Schulfamilie ins Herz geschlossen hat. „Dass man von vielen Menschen als Entscheidungsträger gebraucht worden ist, das war schon ein sehr schönes Gefühl.“ Die Schule müsse aber keine Angst davor haben, dass er zukünftig, wenn er seiner ehemaligen Schule einen Besuch abstatte, sich einmischen werde und „als großer Geist im Hintergrund schwebe“.

Alexandra Eberhardt, deren Wahl als Nachfolgerin er als „Riesenglück“ für die Schule und als „Wunschszenario“ bezeichnet, wünscht er vor allem, dass sie „ihren eigenen Weg findet“ und der „gigantische Lehrermangel“, den er in den kommenden Jahren erwartet, die Schule nicht zu sehr beuteln wird. „Man hat versäumt, Lehrer auf Vorrat zu binden“, blickt Baier mit Wehmut auf Zeiten eines Überangebots zurück und appelliert daher an die Gesellschaft, „mehr Rücksicht auf die Lehrer zu nehmen“. Baier: „Der Beruf hat leider keinen hohen Stellenwert in Deutschland. Und das muss sich grundlegend ändern!“

Grundlegend ändern wird sich zunächst auf jeden Fall der Alltag des künftigen Ruheständlers – auch wenn er für diesen nächsten Lebensabschnitt nach eigenen Angaben „noch keine konkreten Pläne“ hat. Er könne sich beispielsweise vorstellen, seinem großen Hobby, der Musik, wieder viel mehr Zeit zu widmen und sich endlich wieder intensiv mit Oboe und Klavier zu befassen. Auch das Mitsingen in einem Chor würde ihn reizen. „Das musste ich in den vergangenen Jahren fast komplett aufgeben“, sagt der 65-Jährige.

Kochen lernen und
Urlaub machen

Zudem wird der künftige Pensionär demnächst wohl häufiger in der Küche zu finden sein. „Meine Frau hat zu mir gesagt, dass ich jetzt kochen lernen muss“, erzählt Baier und lacht. „Ich sehe da aber kein großes Problem. Das werde ich auch noch hinbekommen.“ Bevor Baier aber am heimischen Herd den Kochlöffel schwingt, geht es erst einmal in den Urlaub nach Griechenland, was für den scheidenden Schulleiter ebenfalls eine ganz neue Erfahrung sein wird – zumindest in puncto Zeitpunkt. „Dass ich jetzt während der Schulzeit in den Urlaub fahren kann, ist ja etwas völlig Neues für mich.“

Und dennoch wird er in Gedanken am ersten Schultag nach den Sommerferien bei seiner Schule in der Schulfamilie in Bruckmühl sein. Auch wenn der erste Kaffee des Tages dann aus einer griechischen Kaffeemaschine kommt, und nicht aus der Kaffeemaschine im Sekretariat des Gymnasiums.

Lobeshymnen auf den scheidenden Schulleiter

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