Bad Aibling – Wetterbedingt, nach zu viel körperlicher Aktivität, Anstrengung oder bei Dehydrierung: Schwindel, Gang- und Gleichgewichtsstörungen kennt wohl jeder: Doch was ist noch „normal“ und verschwindet von selbst wieder und ab wann sollte man hellhörig werden?
Jeder Mensch hat im Laufe seines Lebens ein Risiko von 30 bis 40 Prozent, an Schwindel zu erkranken. Es ist normal, sich nach zu wenig Flüssigkeitszufuhr ein wenig benommen zu fühlen und es ist normal, nach schnellem Aufstehen aus der Hocke ein kurzes Schwindelgefühl zu verspüren. Das Ganze ist zudem abhängig vom Blutdruck.
Tagesklinik besteht seit rund einem Jahr
Wenn sich aber alles um einen herum dreht, als fahre man gerade in einem Karussell, egal, wie lange oder stark der Schwindel ist oder aber, man fühlt sich zu einer Seite gezogen, als würde man umfallen und diese Attacken treten gehäuft auf, dann lohnt es sich, der Ursache auf den Grund zu gehen. Professor Dr. Klaus Jahn, Chefarzt an der Schön Klinik Bad Aibling Harthausen, hat vor rund einem Jahr die Tagesklinik für Schwindel, Gang- und Gleichgewichtsstörungen ins Leben gerufen. Im Interview erzählt er, unter welchen Umständen es sich lohnt, ärztlichen Rat aufzusuchen.
Welches Krankheitsbild kann bei den
Untersuchungen
herauskommen?
Die Ursachen sind vielfältig. Sie können vom einfachen „Steinchen im Ohr, wie beim Lagerungsschwindel, bis zum Schlaganfall reichen.
Handelt es sich wirklich um ein „Steinchen im Ohr“? Wie muss man
sich das vorstellen?
Diese häufigste Form des Schwindels, der sogenannte gutartige Lagerungsschwindel, geht vom Gleichgewichtsorgan aus und kennzeichnet sich durch frei bewegliche kleine Kristalle im Innenohr. Es handelt sich nicht wirklich um Steinchen. Sie sitzen nicht außen im Gehörgang, sondern in den Gängen des Innenohrs. Dort sollten sie eigentlich fest haften, haben sich jedoch gelöst. Das hat zur Folge, dass jede Kopfbewegung Drehschwindelattacken auslöst.
Welche Ursachen
gibt es noch?
Wer schon lange unter Schwindel leidet, hat in der Regel chronische Störungen an Gleichgewichtsorganen, Augen oder Nerven, was wir vor allem bei älteren Menschen beobachten. Es gibt aber auch akute Erkrankungen, die nur einmal im Leben auftreten. Eine Virusentzündung beispielsweise kann den Ausfall des Gleichgewichtsorgans verursachen und einen starken Drehschwindel auslösen. Davon sind auch Jugendliche oder junge Erwachsene nicht ausgenommen. Diese Beschwerden bilden sich mit speziellem Gleichgewichtstraining innerhalb von Tagen bis Wochen zurück.
Also kann Schwindel alle Altersgruppen betreffen?
Durchaus. Schwindelprobleme können in jedem Alter auftreten. Mit zunehmendem Alter wird es oft chronisch und es kommen mehrere Ursachen zusammen: Ältere Menschen haben häufig Schwindel, weil die Augen und Ohren immer schlechter werden oder sie sich unsicher fühlen im Gangbild. Oft sind aber auch Jüngere betroffen: Gerade Kinder und Jugendliche haben des Öfteren Schwindel, der auch mit Migräne zu tun hat.
Wie sieht das Behandlungskonzept der Experten aus? Unterscheidet es sich je nach Art der
Symptome und nach
Ursachenfund?
Individuell. Das Wichtigste ist, als Arzt oder Therapeut zu verstehen, was dem Schwindelpatienten fehlt. Man muss genau in den Patienten hineinhören und eine ausführliche Anamnese vornehmen, in der man sich die Dauer und Intensität der Symptome erklären lässt und diese untersucht. Die Ursache lässt sich in der Regel immer finden und daraus folgt die Therapie.
Die wie aussieht?
Die Therapie schlägt ganz unterschiedliche Wege ein: Sehr häufig steht Gleichgewichtstraining im Fokus. Bei älteren Menschen, die fürchten, stürzen zu können oder bereits gestürzt sind, konzentriert sich das Training auf Gangsicherheit. Beim Lagerungsschwindel hingegen müssen ganz bestimmte Manöver in der richtigen Reihenfolge ausgeführt werden. Essenziell ist die Erklärung der Ursache, sonst wird die Angst beim Patienten größer und er traut sich am Ende gar nichts mehr zu oder bewegt sich kaum noch. Das wäre kontraproduktiv.
Demnach spielt auch
die Psyche eine Rolle?
Natürlich. Der Mensch besitzt verschiedene Sinnessysteme. Das Gleichgewichtssystem ist eines, das man nicht so richtig wahrnimmt oder spürt. Fehlt bei den Augen etwas, äußert sich das im Sichtbild, genauso wie beim Tastsinn. Mit dem Schwindel aber ist es ein bisschen diffus, deswegen ist es so wichtig, dass man versteht, welche Erkrankung hinter den Symptomen steckt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Patienten zu aufmerksam in sich hinein lauschen und einen dauerhaften Schwindel spüren – ob sie nun ruhig sitzen oder sich bewegen. Das ist keine Einbildung, aber die Antennen sind dann sehr empfindlich eingestellt und alles, was in der Umgebung um einen herum passiert, kann als unangenehme Schwindelbewegung wahrgenommen werden. Daraus kann sich ein psychisches Problem entwickeln.
Welche außergewöhnlichen Behandlungsmethoden und Geräte werden in Ihrem Haus genutzt?
Wir haben in der Tat spezielle Laufbänder, in die wir Störreize simulieren oder Plattformen, die die Patienten in eine virtuelle Welt eintauchen und Probleme lösen lassen. Beim sogenannten Rotundum handelt es sich um ein Rad, in das der Patient fixiert wird und in dem sich der ganze Körper um seine eigene Achse dreht. Es wird zum Beispiel beim Lagerungsschwindel eingesetzt, um den Abfluss der Kristalle im Innenohr zu begünstigen. Wichtig ist, das Gehirn zum Nachdenken, rechnen oder für kleinere Aufgaben zu trainieren und gleichzeitig das Gleichgewicht zu halten. Mit dieser Kombination erzielen wir gute Trainingserfolge.
Die Tagesklinik für die Therapie von Schwindel-, Gang- und Gleichgewichtsstörungen ist bayernweit die einzige ihrer Art. Wieso gibt es nicht mehr solcher Einrichtungen? Fehlt der Bedarf?
Der Bedarf ist durchaus vorhanden. Es ist ein neues Konzept. Unsere Tagesklinik gibt es seit September 2023, die Patienten verbringen in der Regel eine Woche bei uns und trainieren von Montag bis Freitag. Sie profitieren sehr, die Rückmeldungen sind positiv. Vielleicht wird es in Zukunft Tageskliniken wie die unsere öfter geben, wenn unser Gesundheitssystem, die Ministerien und Kostenträger erkennen, dass solche Einrichtungen gebraucht werden. Tageskliniken für Schmerzbehandlungen gibt es beispielsweise öfter. Tageskliniken für andere neurologische Erkrankungen, die keine stationäre Aufnahme benötigen, müssen sich erst noch etablieren.
Wie kann Schwindel langfristig vorgebeugt werden?
Bewegung trainiert und erhält das Gleichgewicht. Das beinhaltet nicht nur laufen und spazieren gehen, sondern auch gezieltes Beugen des Kopfes oder verschieden schnelle Bewegungen. Je älter man wird, desto empfindlicher ist man beispielsweise beim Karussellfahren auf dem Volksfest, weil die Bewegungen mit dem Kopf nicht mehr dieselben sind wie bei Kindern und Jugendlichen. Das Schlimmste ist, aus Angst etwas falsch zu machen oder hinzufallen, sich gar nicht zu bewegen.
Findet man Sie auch dann am Karussell,
Herr Professor?
Dadurch, dass auch ich gelegentlich von Lagerungsschwindel betroffen bin, nutze ich das Rotundum in unserer Einrichtung. Dadurch bin ich in der Lage, auch jedes echte Karussell zu besteigen. Interview: Marina Birkhof