Feldkirchen-Westerham – Wo im vergangenen Jahr weihnachtliche Dekorationsartikel für eine festliche Stimmung in der Wohnung in Krügling bei Feldkirchen-Westerham sorgten, wird heute Platz für massenweise medizinisches Material benötigt. Wo sich Viktoria Zettel (35) gemeinsam mit ihrem Mann Mike (46) Zeit genommen hat, über Weihnachtsgeschenke und das Essen an den Festtagen nachzudenken oder die Wohnung festlich zu schmücken, stehen jetzt Telefonate und allerhand Schriftverkehr mit Kranken- und Pflegekassen an.
Bub erleidet in den
Armen von Papa Mike einen Herzstillstand
Binnen eines Jahres hat sich das Leben der Feldkirchen-Westerhamer Familie Zettel grundlegend verändert. Nichts ist mehr, wie es einmal war, seitdem der mittlerweile achtjährige Finn im Januar einen Atem- und Herzstillstand erlitten hatte, seitdem weder sprechen noch gehen kann. Und dennoch empfinden Zettels den Ist-Zustand als „großes Geschenk“. Denn die ganze Familie – die Eltern Viktoria und Mike, die beiden größeren Söhne Lukas (17) und Paul (14) sowie die beiden Familienhunde – können das Weihnachtsfest gemeinsam mit Nesthäkchen Finni daheim in Krügling feiern.
Es ist eine Tragödie, die selbst Außenstehenden den Atem stocken lässt und kaum zu ertragen ist: Mitte Januar werden Finnis Eltern in einem Klinikum vorstellig, nachdem der damals siebenjährige Bub massive Symptome eines grippalen Infekts zeigte, die unter anderem zu massiven Atemproblemen führten. Doch die Klinik wiegelt ab und schickt die besorgten Eltern und deren Buben nach kurzer Untersuchung und der Gabe von Cortison und Paracetamol wieder nach Hause.
Nachdem sich Finnis Zustand aber über Nacht nicht gebessert, sondern eher verschlechtert hat, machen sich die besorgten Eltern mit ihrem kranken Buben erneut auf den Weg ins Krankenhaus, wo sie auf eine eingehende Untersuchung ihres Kindes drängen. Doch es ist bereits zu spät: Noch während die Eltern auf erste Ergebnisse warten, kollabiert der Siebenjährige, erleidet in den Armen von Papa Mike einen Atem- und Herzstillstand. Ein Moment, der sich für immer ins Gedächtnis von Mama Viktoria Zettel eingebrannt hat. „Mein Kind ist quasi in den Armen meines Mannes gestorben und ich hatte in diesem Moment ebenfalls das Gefühl, zu sterben“, erinnert sie sich an den schrecklichsten Moment ihres Lebens zurück.
Quälend lange zehn Minuten dauert es, bis es einer ganzen Armada von Ärzten und Pflegern gelingt, den kleinen Patienten zurück ins Leben zu holen. Zehn Minuten, die allerdings ausreichen, um massive Schäden am Körper des vormals kerngesunden Erstklässlers anzurichten. So kann Finni, der anschließend in die Schön-Klinik Vogtareuth verlegt und dort monatelang behandelt worden war, auch heute weder laufen geschweige denn sprechen. Wie viel er von seiner Umwelt wirklich mitbekommt, ist völlig unklar. Seit dem 10. Dezember – drei Tage vor Finnis achtem Geburtstag – ist der kleine Bub gemeinsam mit seiner Mama Viktoria, die ihrem Jüngsten seit Januar Tag und Nacht nicht von der Seite gewichen war, nun wieder daheim in Krügling bei Feldkirchen-Westerham. Das Zuhause der Zettels wird derzeit peu à peu behindertengerecht umgebaut, mittlerweile konnte die Familie auch das neue Familienfahrzeug, in dem auch Finni samt Rollstuhl Platz hat, beim Händler abholen.
Doch bis die Wohnung so ausgestattet ist, dass die Pflege und Betreuung des blonden Buben bestmöglich vonstattengehen kann, wird es wohl noch einige Zeit dauern. So lässt der in Rostock angefertigte Rollstuhl weiter auf sich warten, auch der von der Krankenkasse zunächst abgelehnte, später dann doch genehmigte Therapiestuhl, der Finni im Wohnbereich im Obergeschoss eine Teilhabe am Familienleben ermöglichen soll, ist noch nicht da. „Die Auffahrt mit dem Treppenlift funktioniert leider auch noch nicht so, wie wir uns das wünschen würden“, sagt Viktoria Zettel. „Da fehlt Finni irgendwie noch der richtige Halt. Darum tragen wir in meistens nach oben.“
Das „bislang beste Hilfsmittel“ hat die Familie, die seitens der Pflegekasse für alle Umbaumaßnahmen inklusive Treppenlift 4000 Euro bekommen soll, bereits aber rund 100000 Euro investiert hat, indes aus eigener Tasche bezahlt: Ein sogenannter „Gravity Chair“ für rund 2000 Euro, der Finni einen stabilen und komfortablen Sitz – beispielsweise auf der Familiencouch – ermöglicht. „Der war zwar, wie alle pflegerischen Hilfsmittel, sündhaft teuer, ist aber jeden Cent wert“, sagt Mama Viktoria. Denn so habe ihr kleiner Bub die Möglichkeit, nicht nur im Pflegebett an die Decke starren zu müssen, sondern wirklich am Familienleben teilzunehmen. Ein Familienleben, das laut Zettel seit Finnis Rückkehr „erstaunlich gut“ funktioniere. „Ich hatte ein bisschen Angst, dass Finni daheim vielleicht extrem unruhig ist und ob die Versorgung genauso gut wie im Krankenhaus funktioniert“, sagt die 35-Jährige, die sich in der Schön-Klinik „extrem gut aufgehoben“ gefühlt hatte. Aber: „Seitdem Finni wieder daheim beim Papa, seinen Brüdern und den Hunden ist, habe ich das Gefühl, dass er deutlich ruhiger und entspannter ist.“ Und einen wacheren Eindruck macht.
Ein weiterer positiver Aspekt der lange herbeigesehnten Familienzusammenführung: Jetzt kann Viktoria Zettel nicht nur daheim den Haushalt schmeißen, sondern sich auch etwas Zeit nehmen, um für etwas weihnachtliche Stimmung zu sorgen. „Das ganze Weihnachtsgedöns ist bei mir ehrlich gesagt bislang ziemlich durchgerutscht“, sagt die 35-Jährige. „Aber das haben wir jetzt nachgeholt.“ So sei mittlerweile ein Christbaum besorgt und aufgestellt, die Räume der Wohnung weihnachtlich dekoriert worden.
An den Feiertagen selbst wird dann auf jeden Fall eine Tradition fortgesetzt, die bereits seit der Geburt der Kinder besteht. „An Heiligabend wird der Patenonkel der Kinder zu uns kommen und mit uns feiern“, sagt Viktoria Zettel. „Das war schon immer so.“ An den weiteren Feiertagen hatte die Familie dann normalerweise Verwandte besucht – was jetzt aber aufgrund der Umstände nicht möglich ist.
„Wir werden Besuch bekommen, der das Essen sogar mitbringt“, erzählt die Krüglingerin, die vor allem ein Ziel hat: Die Festtage „relativ stressfrei und ungezwungen“ zu gestalten, denn: „Zusätzlichen Stress brauchen wir derzeit wirklich nicht.“ Stattdessen will sich die Familie auch Zeit nehmen und an die vielen Menschen denken, die ihnen in den vergangenen elf Monaten zur Seite gestanden haben – mit Taten, aber auch in Gedanken. So habe Finni „so viele Pakete mit Geschenken bekommen“, dass es beispielsweise mittlerweile über ein Sammelsurium an Kuscheltieren verfügt, „das bestimmt für 30 Leben reicht“.
Besonders berührt hat sie das Paket einer Frau, die regelmäßig ihre Instagram-Storys zu Finni verfolgt, und die für den Buben einen persönlich gestalteten Adventskalender geschickt hat. „Jedes Päckchen war liebevoll beschriftet. Die Frau hat sich so viele Gedanken gemacht“, erzählt Zettel mit belegter Stimme. So beinhaltete das Päckchen für den 13. Dezember – Finnis achten Geburtstag – einen kleinen Gugelhupf, eine Wunderkerze in Form einer Acht sowie Dinosaurier-Servietten. Zettel: „Es ist wirklich unfassbar, wie lieb die Menschen zu uns sind und wie sie versuchen, uns zu helfen und uns zu unterstützen.“
Das allergrößte
Weihnachtsgeschenk: Familie ist beisammen
Das allergrößte Geschenk für Finni und seine Familie ist es aber ohne Zweifel, dass der kleine Bub nach elf quälend langen Monaten im Krankenhaus nun endlich wieder daheim in Krügling ist. Und auch wenn der Weg für den Achtjährigen zurück ins Leben noch steinig sein und vermutlich viele Hürden und Unwägbarkeiten bereithalten wird, steht für die ganze Feldkirchen-Westerhamer Familie Zettel fest: „Dass wir hier in Krügling jetzt endlich wieder alle zusammen sind, ist für uns nach dieser schweren Zeit einfach ein ganz neues Lebensgefühl und das größte und schönste Weihnachtsgeschenk.“