Handgenähte Engel für traurige Kinder

von Redaktion

Nadelstiche, die Trost spenden – Ein wärmendes Projekt erobert die Herzen

Rosenheim/Landkreis – Martin Kienast und Steffi Witte haben einen Traum, der über die Grenzen ihrer eigenen Gemeinde hinausreicht: Das „Trostkoffer“-Projekt, zu dem auch die handgenähten Engelspuppen gehören, soll künftig in der gesamten Erzdiözese München-Freising Fuß fassen. Der Wunsch: Dass noch mehr helfende Hände in vielen kleinen Nähstuben sitzen und für Kinder in dunkelsten Stunden einen weichen Begleiter fertigen. An einem Samstagnachmittag im Pfarrheim von Bischofswiesen geschieht genau das – gemeinsam nähen sie „Charli“, einen kleinen, plüschigen, mit langen Haaren versehenen Engel, der Kindern in schweren Stunden Trost spenden soll.

Charli ist ein
Unikat

Der Raum ist erfüllt von aufmerksamer Stille und emsiger Handarbeit. Auf den Tischen liegen Stoffreste wie kleine Inseln, Garnrollen türmen sich hier, und aus der Küche dringt der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee herüber.

Am Tisch in der Mitte sitzt Martin Kienast, umgeben von etwa zehn Frauen, die mit konzentrierten Bewegungen aus losen Materialien Tröster erschaffen. „Charli“, so heißen die kleinen Engel, ist das Herzstück seines Projekts – eine Puppe, die Kindern Trost spendet, wenn ein Elternteil oder ein Geschwisterchen gestorben ist. Keine austauschbare Ware von der Stange, sondern ein handgefertigtes Unikat, genäht mit leisen Stichen und großer Hingabe.

Kienast ist Religionslehrer, studierter Theologe und Pastoralreferent. Menschen sind der Mittelpunkt seiner Arbeit.

Inmitten dieser Runde beugt sich die 19-jährige Richmodis Niklas aus Anger über winzige Stoffstücke. Ihr Werkzeug: Schere, Nadel, Faden, ihre feingliedrigen Finger und ihr Gespür für Details. Die Schülerin der Modeschule in Hallein ist bereits seit vier Jahren dabei – damals als Teenager begonnen, nun als junge Erwachsene fester Bestandteil dieses Teams.

„Ich fand es einfach eine coole Aktion und wollte dabei sein“, sagt sie mit unaufdringlichem Lächeln. Heute kümmert sie sich um die Hosen, die Charli tragen wird. Jeder Stich ist mehr als Handwerk: Er ist ihr stiller Beitrag, Kindern in Momenten der Hilflosigkeit etwas Greifbares zu schenken. Zur Unterstützung hat Richmodis ihre Freundin Emilia Schell mitgebracht, ebenfalls 19 Jahre alt. Emilia arbeitet in einem Verein, der Menschen mit Beeinträchtigungen unterstützt.  An einem anderen Tisch sitzt Birgit Hauber, Gemeindereferentin, und arbeitet an Engel Charli, als hätte sie nie etwas anderes getan. Neben ihr Anneliese, die mit ruhiger Geduld am Ende alle Einzelteile der Engel zusammensetzt, bis sie Charlis Form vollenden. Bis auf Martin Kienast sind heute nur Frauen mit dabei. Doch es gibt sie, die Männer. Einer wollte vor einiger Zeit die Anleitung für Charli haben, war monatelang nicht gesehen und kehrte schließlich mit einem ganzen Koffer voller Engelpüppchen zurück. Eine stumme Botschaft: Die Idee wächst in der Stille, breitet sich von Mensch zu Mensch aus, ohne große Reden.

„Jeder, der hier mitmacht, macht es mit Herzblut“, sagt Kienast, während er selbst dem nächsten Engel mit einer Nadel die stoffernen Haare verleiht. Daneben warten die Koffer, die mit Büchern über Trauer, Wut, Schmerz, aber auch Hoffnung gefüllt sind. Ein Grablicht, das gemeinsam mit den Kindern verziert werden kann, gehört ebenfalls dazu. Wenn ein Familienmitglied stirbt, wird dieser Trostkoffer in die betroffene Familie gebracht und bleibt so lange, wie er gebraucht wird. Charli darf das Kind behalten, ein kleiner Anker in stürmischer See. Erst wenn die Zeit reif ist, wandert der Koffer mit den Büchern weiter zur nächsten Familie, die ihn benötigt.

Das Projekt hat längst Anerkennung erfahren. Kienast und sein Team wurden mit dem Bonifatius-Preis für innovative Ideen ausgezeichnet. Die 3000 Euro Preisgeld flossen in neue Bücher, um den Koffer weiter zu bestücken. Doch für ihn ist das erst der Anfang – die Idee soll sich über die gesamte Diözese verbreiten, am liebsten über ganz Bayern.

Deshalb gibt es bereits Schritt-für-Schritt-Anleitungen und Videos. Die Zuständige habe sie produziert, damit andere Pfarreien die Charli-Engel ohne Probleme nachnähen können. 

Während die Frauen Stoffe zuschneiden, Muster erstellen, Flügel annähen und Nähte prüfen, entsteht eine konzentrierte Ruhe. Zweimal im Jahr finden in der Gemeinde zudem Trostgottesdienste statt, sagt Martin Kienast. Menschen, die einen Verlust erlitten haben, finden dort Gehör und Ansprache. Als die Nähmaschinen irgendwann verstummen, liegen wieder mehrere Charlis auf dem Tisch.

Ein gesticktes
Lächeln

Einer von ihnen blickt mit seinem gestickten Lächeln so, als wollte er sagen: „Ich bin da, wenn du mich brauchst.“ Trost, der aus einfachen Materialien erwächst, mit Hingabe gefertigt, um eben anderen in der Not beizustehen. Eine Idee, die laut Veranstaltern, wachsen soll, bis sie in der gesamten Erzdiözese vertreten ist. Weitere Infos bei Martin Kienast per E-Mail an kienast@posteo.de.

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