Am Jakobsweg die Zähne ausgebissen

von Redaktion

Lustige Anekdoten einer einmaligen Pilgerreise von vier Freunden

Bad Aibling – Den Jakobsweg zu Fuß zu gehen, davon haben viele schon gehört – ihn aber mit dem Fahrrad zu bewältigen, das wagen nur wenige. Dass eine solche Tour von Rechtmehring bis nach Santiago de Compostela nicht nur Ausdauer, sondern auch Teamgeist und Abenteuerlust erfordert, davon berichteten kürzlich drei der vier Radpilger, die sich gemeinsam auf den langen Weg gemacht hatten.

Die Geschichte dieser außergewöhnlichen Reise begann bereits vor mehr als 20 Jahren: Schon damals fassten Jakob Egger und Franz Manzinger aus Rechtmehring den Entschluss, eines Tages den Jakobsweg mit dem Rad zu erkunden. Aus der Idee wurde schließlich Realität – mit ein wenig Corona-bedingter Verzögerung starteten sie im Jahr 2022 gemeinsam mit Peter Vorderwestner und Andreas Klein ihre Pilgertour Richtung Westen.

Zum Auftakt
gibt es Weißwurst

Im gut gefüllten Sitzungssaal von Bad Aibling erzählten die vier Männer nun von ihrem Abenteuer, das sie auf zwei Rädern quer durch Europa führte – von Bayern bis zur Kathedrale von Santiago de Compostela, dem Ziel aller Jakobspilger.

Wie es sich für Bayern gehört, begann die Reise zünftig: mit einem Weißwurstfrühstück. „Das letzte Mal für eine lange Zeit“, bemerkte Franz Manzinger mit einem wehmütigen Lächeln. Dann ging es los – Tag für Tag, Kilometer um Kilometer. Bereits am vierten Tag, in Rheinfelden, machten sich die ersten technischen Probleme bemerkbar. Doch die wurden mit Elan gemeistert.

„Da hilft nur Zusammenhalten und Humor“, berichteten die Radler. Einen Tag später erreichten sie den Rhone-Rhein-Kanal – eine Überraschung, wie sie lachend zugaben: „Wir wussten vorher gar nicht, dass es den überhaupt gibt.“ In Frankreich folgten dann die ersten sprachlichen Herausforderungen. „Wir redeten ein wenig Englisch und ein bisserl Französisch“, erinnerte sich Manzinger.

Dabei kam es zu einer amüsanten Verwechslung: Statt „sixteen“ verstanden die Gastgeber „sixty“ – was das Abendessen deutlich teurer machte. Lacher im Publikum für das Missgeschick. Die Unterkünfte suchten die vier Pilger stets am Nachmittag. Meist klappte das problemlos – bis zum siebten Tag. Da blieb nur ein Platz auf dem Zeltplatz. Doch am nächsten Tag wartete bereits ein besonderer Höhepunkt: das Ziel Taizé. „Dort haben wir den Geist von Taizé hautnah erlebt – und eine liebliche, kleinstrukturierte, aber wunderschöne Landschaft“, schwärmte Peter Vorderwestner. Doch ohne Zwischenfälle ging die Radreise natürlich nicht weiter. In Taizé war Jakob Eggers Hydraulik-Bremse undicht. Selbsthilfe unmöglich! So fuhren sie noch über 100 Kilometer, bis sie eine Werkstatt fanden. „Es war eine echte Hinterhofwerkstatt“, erinnert sich Egger – aber das Rad war bald wieder voll funktionsfähig. Rückblickend – über 100 Kilometer sozusagen mit angezogener Handbremse.

Tag 11, Ziel Le Puy, brachte dann den „ersten richtigen Buckel“, wie Peter Vorderwestner feststellte. Und 112 Tages-Kilometer mit 1350 Höhenmetern. Das Zentralmassiv ließ grüßen. Wenig später das nächste Malheur: ein ausgebissener Zahn von Franz Manzinger. Zwei Stunden lang suchten sie einen Arzt, die fünfte Adresse klappte. Und das Erstaunen war groß bei den Radlern und den Zuhörern: Knapp 15 Minuten Behandlung inklusive Bohren und Schleifen – 33 Euro verlangt – Rechnung gestellt, mit Karte bezahlt.

Der Zahnarzt war übrigens allein in der Praxis, ohne Assistentin. „Er hat alles selber gemacht, inklusive Rechnung schreiben und kassieren. So geht’s auch“, erzählt Franz Manzinger. Ein Raunen ging durch das Publikum. Jeder dachte sofort an den deutschen Bürokratismus. Am 13. Tag kamen sie dann auf den eigentlichen Pilgerweg. Dort, am Col d’Aubrac, hatte man mit 1340 Metern den höchsten Punkt im Zentralmassiv erreicht. Eine ruhige Gegend – und es wurde jetzt jeden Tag wärmer.

Am 15. Tag nervte sie der Wind, der in Frankreich und vor allem jetzt in Spanien besonders nachmittags heftig blies. „Deshalb fuhren wir schon meist vor 7 Uhr bei Dunkelheit los, frühstückten nach einigen Kilometern in einer Bar am Wegesrand“, erzählte Peter Vorderwestner.

Der 16. Tag war dann der heißeste Tag der Reise: 38 Grad! Und wieder ging ein langgezogenes „Ooooh!“ durchs Publikum. Das Ziel kam immer näher, doch am 23. Tag hatte Peter Vorderwestner eine Reifenpanne. „Ratzfatz war das gerichtet“, sagte er stolz. Geübte und erprobte Radler eben, die vier aus Bayern.

Am 27. Tag war dann mit 1504 Metern der höchste Punkt erreicht und landschaftlich lag eine beeindruckende Gegend vor den vier Radlern. „Ab jetzt wurden es mehr Leute. Immer mehr Busreisende kamen dazu“, erzählte Manzinger. Dann aber war der Euphoriepegel ganz oben, wie Peter Vorderwestner stolz erzählte: Santiago de Compostela lag vor ihnen.

In nur 29 Tagen bewältigten sie 2600 Kilometer und 22000 Höhenmeter durch die Alpen, die Pyrenäen und weitere Gebirge – erschöpft, aber glücklich. Da die Rückreise per Flugzeug gebucht war, mussten die Räder die Heimreise alleine antreten. Also ging man ins Postamt und erlebte die größte Überraschung der Reise. Gepäck versenden – kein Problem. Aber Räder?

Eine Reise
auch zu sich selbst

Als Erstes mussten sie die Zweiräder ausbauen, um sie in die übergroßen Kartons zu bekommen. Dann hieß es: Wegen Covid sei ein Versand nach Allemannia nicht möglich. „Aber Austria ging“, erzählte Manzinger noch heute überrascht und fast verzweifelnd. Also suchten sie im fernen Santiago fieberhaft per Telefon Angehörige in Österreich. Man fand eine Person, aber sie wohnte nur in einer kleinen Zweizimmerwohnung. Unmöglich bei den vier riesigen Kartons. Also weitertelefonieren, bis man in Kundl einen Bekannten fand.

So fand die abenteuerliche Reise selbst am 29. und letzten Tag noch ein gutes Ende. Eindrucksvolle Bilder und viele Anekdoten ließen die Zuhörer, die sich mittendrin in der Reise fühlten, an unvergesslichen Momenten teilhaben. Und wer den Vortrag in Aibling verfolgte, konnte spüren: Diese Reise war weit mehr als nur eine sportliche Herausforderung. Sie war eine Reise zu sich selbst – und ein Beispiel dafür, dass Träume auch nach Jahrzehnten noch wahr werden können.

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