Rohrdorf – „Ein wahres Feuerwerk von Pointen“ – so könnte man den Auftritt von Rainer Maria Schießler vor etwa 700 begeisterten Leuten im Rohrdorfer Turner Hölzl beschreiben, wäre er kein Pfarrer, sondern ein Kabarettist. Und er selbst wäre wahrscheinlich nicht einmal böse darüber, denn seine Botschaft ist im wahrsten Sinne eine Frohbotschaft: Der Mensch, so sagte er, ist nicht hier, um sich sein Leben zur Hölle zu machen, sondern zum Himmel. Und lautes Lachen ist davon, so ist Schießler überzeugt, ganz sicher ein ganz wesentlicher Bestandteil.
Prägende Erlebnisse und
persönliche Vorbilder
Überhaupt ist Schießlers Himmel ein sehr geerdeter. Die Kirche ist deshalb kein makellos schönes ideelles Konstrukt, sondern verbeult, mitgenommen, übersät mit „Peckern und Dullackn“ – eben ganz wie die Menschen, aus denen sie besteht. Und aus dieser Sicht heraus ist der Aufruf, die Welt zu einem besseren Ort werden zu lassen, ebenfalls ein ganz pragmatischer: „Net zuschaun – machen, es sind durchaus die kleinen Dinge, die zählen.“ Schießler brachte dafür ein Beispiel aus seiner eigenen Erfahrung. Er habe als ganz junger Ministrant, ausgerechnet bei seinem ersten großen Gottesdienst, „dem Pfarrer vor die Füße gekotzt“. „Ich bin heim und dachte, jetzt ist alles vorbei, ich wollte nur noch sterben.“ Am späten Nachmittag sei dann seine Mutter vom Pfarrer angerufen worden. Dieser habe gesagt, dass Rainer auf jeden Fall wiederkommen solle, denn immerhin, so habe der Pfarrer scherzhaft hinzugefügt, habe er bei diesem Gottesdienst wirklich alles gegeben. Für Schießler war und ist an dieser Geschichte eines besonders wichtig: dass der Pfarrer nicht nur angerufen hat, sondern sich – in den Zeiten lange vor dem Internet – einen halben Tag lang bemüht hatte, die Telefonnummer der Schießlers herauszubekommen. „Wenn einem da so nachgelaufen wird“, so habe er sich damals gedacht, „dann ist das in der Tat mein Verein.“ Große Pfarrerpersönlichkeiten traf Schießler auch später, auch und gerade in seiner Kaplanszeit in Rosenheim von 1987 bis 1991, die er als seine entscheidenden Lehrjahre bezeichnet.
Er habe dort viel über das Leben und damit auch über den Glauben gelernt. Und er habe in Pfarrer Anton Fredlmeier einen Chef gehabt, der streng, dabei aber wirklich fürsorglich und vor allem gerecht gewesen sei. Die Strenge hielt Schießler nicht davon ab, dem Schalk, der ihm offenbar schon zeitlebens im Nacken sitzt, freien Lauf zu lassen. Denn Pfarrer Fredlmeier hatte, wenn er Beichte hielt, ein Schild am Beichtstuhl: „Deutsch/Englisch/Italienisch“. Da habe er sich, so sagte Schießler, gedacht: „Wen gibt’s denn in Rosenheim, der italienisch beichten will?“ Und malte sich flugs ein Schild, auf dem stand: „Hochdeutsch/Bayerisch“. Fredlmeier, so erzählte Schießler weiter, habe die Angewohnheit gehabt, nachzuschauen, ob Schießler seinen Dienst im Beichtstuhl auch ja nicht vergessen habe. „Von innen sah Fredlmeier, der ja groß war, aus wie Nosferatu, wenn er vorbeiging.“ Als das Schild „Hochdeutsch/Bayrisch“ vor dem Beichtstuhl hing, so erzählte Schießler, „ist Nosferatu wie immer vorbeigegangen, drehte diesmal aber um, um lange vor dem Beichtstuhl zu stehen und dann zu sagen: Herr Koprator, Sie san so a blede Sau.“ Schiessler dazu: „Es gibt Sätze, die wären auf Hochdeutsch eine Beleidigung, auf Bayerisch aber sind sie wie ein Ritterschlag.“
Insofern hat auch Martin Fischbacher vom Rohrdorfer Bürgerblock, dem es gelang, Schießler nach Rohrdorf zu holen, einen Ritterschlag erhalten, denn Schießler sagte über ihn: „Der is lästiger wia a Gwandlaus.“ Auch wegen Fischbachers Hartnäckigkeit habe er am Ende in Rohrdorf zugesagt, obwohl er die meisten Veranstaltungsanfragen aus Zeitgründen ablehnen müsse. In Rohrdorf sei aber noch eines dazugekommen: Sämtliche Einnahmen aus der Veranstaltung unterstützen gute Zwecke, gehen hälftig jeweils an die Aktion Sternstunden und an die OVB-Weihnachtsaktion.
Möglich ist das, weil Schießler bei der Veranstaltung auf ein Honorar verzichtet. „Eigentum verpflichtet“, sagt er dazu schlicht, „und das fängt nicht erst bei der Eigentumswohnung an.“ Für Schießler muss, das wird auch hier wieder ganz deutlich, der Mensch mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt dessen stehen, was man Kirche nennt, und das ist für ihn ganz offensichtlich nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern eine sehr konkrete Handlungsanweisung.
Ein Glaube, der
begeistert statt zwingt
Die Menschen, so sagt er, hätten schließlich ein tiefes Bedürfnis nach Glauben, glaubten aber nicht selten das Falsche. Und erzählt von einer älteren Frau, die zu ihm kam, weil das Kruzifix im Herrgottswinkel von der Wand gefallen sei, urplötzlich, nachdem es seit Jahrzehnten dort hing. „Was ist das für ein Zeichen, was soll mir gesagt werden?“, habe sie Schießler fast angstvoll gefragt. Er habe geantwortet: „Das ist ein ganz klares Zeichen dafür, dass Sie einen neuen Nagel brauchen.“ Denn Schießler ist von einem überzeugt: „Gott zwingt nicht, Gott begeistert.“ Und dass man diese Begeisterung in die Welt tragen, für andere ein Licht sein kann, das ein klein wenig Freude, vielleicht auch Hoffnung und Trost ins Leben bringt – das habe er mit seinem Vortrag vermitteln wollen.