ForschungsProjekt Stadtgrün 2021

Die Schattenspender der Zukunft

von Redaktion

von Dominik Göttler

Dachau – Wenn Frank Großhans durch Dachau fährt, kennt er jeden Baum und dessen Wehwehchen. Der Landschaftsgärtnermeister von der Abteilung Stadtgrün kümmert sich schließlich seit drei Jahrzehnten mit größter Fürsorge um die rund 50 000 Bäume im Stadtgebiet. Er macht kein großes Aufheben darum, aber wenn er in Schrittgeschwindigkeit durch die Straßen fährt und zu jedem Baum eine Geschichte erzählt, wird klar, wie viel ihm die grünen Schattenspender bedeuten.

Doch viele der Baumarten, die die Passanten meist gar nicht so recht wahrnehmen, haben Probleme. Sie sind gestresst von den vielen Abgasen, immer wärmeren Sommern und den frostigen Wintern, von Schädlingen und Krankheiten und von den oft viel zu engen Lücken im Gehweg, in denen sie kaum Platz haben, um Wurzeln zu schlagen. Abgesehen davon, dass viele Bäume deshalb nicht mehr besonders schön aussehen, steigt dadurch auch die Gefahr von Astbrüchen – und manche Bäume sterben sogar ganz ab.

Deshalb hat die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) vor acht Jahren das Projekt Stadtgrün 2021 gestartet. Dabei werden in den klimatisch sehr unterschiedlichen Städten Würzburg (besonders heiß), Hof (besonders kalt) und Kempten (besonders feucht) verschiedene Baumarten gepflanzt und auf ihre Zukunftstauglichkeit erprobt. „Wir suchen nicht den Superbaum, sondern wollen eine breite Streuung“, sagt Susanne Böll, die Chefin des Projekts. Unterstützt werden die drei Städte von einem Netzwerk von über 30 Kommunen, die ihre Beobachtungen mit eigenen Versuchsbäumen teilen. Einziger Teilnehmer in Oberbayern: Dachau.

Frank Großhans ist bei seiner Tour vorbei an Kastanien, Linden und Platanen gefahren, typisch-bayerische Stadtbäume. Doch jetzt steigt er in einem Wohngebiet in Dachau-Süd aus dem Auto und zeigt auf eine Reihe von Bäumen, die entlang der Straße wachsen. „Das sind unsere Alnus spaethii“, sagt er voller Stolz. 38 prächtige Purpur-Erlen stehen dort, vor 13 Jahren gepflanzt, und säumen die Parklücken an der Straße am Stadtrand. Der Laubbaum mit der kegelförmigen Krone ist eine gezüchtete Kreuzung und macht den Mitarbeitern vom Bauhof viel Freude – weil er nicht so krankheitsanfällig ist wie die Platanen, die hier früher standen.

Die Purpur-Erle ist einer der Bäume, die sich in nahezu allen Standorten bewährt hat, wie Susanne Böll bestätigt. Gut möglich, dass die Kreuzung also künftig häufiger in Bayerns Städten anzutreffen ist. In den Niederlanden ist der Baum bereits weit verbreitet. Sein großer Vorteil: Auch das viele Salz der winterlichen Straßenstreuung steckt er gut weg. Und an seinen Wurzeln bilden sich Knöllchen mit Bakterien, die Stickstoff binden – die Purpur-Erle düngt sich also quasi selbst.

Aber auch andere Sorten wie die in Südosteuropa und Kleinasien heimische Silber-Linde, der chinesische Ginkgo oder der Dreizahn-Ahorn aus den japanischen Bergwäldern haben sich in manchen Regionen bewährt. Rund 30 Versuchsbaumarten werden getestet. Und damit das ökologische Gleichgewicht in den Städten durch die neu gepflanzten Einwanderer nicht auseinanderbricht, untersuchen die Forscher am LWG auch gleich, was in den Kronen der immigrierten Baumarten so alles kreucht und fleucht.

Denn verzichten will niemand auf die grünen Farbtupfer zwischen dem Asphalt. Nicht nur, weil sie eine Stadt schöner machen und Schatten spenden, sondern weil sie natürlich auch eine wichtige Funktion erfüllen. „Sie sind die Klimaanlagen unserer Städte“, sagt Susanne Böll über die Ökoleistung der Bäume.

Für Frank Großhans und seinen Kollegen Johannes Hennersperger soll das Projekt natürlich Erkenntnisse drüber liefern, welche Bäume auch künftig sinnvoll gepflanzt werden können. „Aber es ist für uns alle auch ein bisschen Forschergeist dabei“, sagt Hennersperger. Denn jedes Mal, wenn die Bauhofmitarbeiter das Maßband an den wachsenden Baumstämmen anlegen, vermessen sie auch ein Stück weit die Zukunft.

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