Raisting – Max Neumayr ist nervös. Immer wieder schnellt sein Blick durch den Saal. Ungeduldig trommelt er mit seinen Fingern auf dem Tisch. Er sagt: „Es gibt nichts schlimmeres als diese ewige Warterei.“ Doch dann hat das Warten plötzlich ein Ende. Stephan Drexl, einer der zwei „Ruatnbuam“, führt Tanja Sturm an den Platz von Neumayr. „Liebe Tanja, das ist der Max. Viel Spaß euch beiden.“ Eine erste Begrüßung, ein erstes Lächeln – schon sind die beiden eines von rund 100 Paaren die gestern beim traditionellen Betteltanz in Raisting (Kreis Weilheim-Schongau) verkuppelt wurden.
Beim Betteltanz können sich sowohl ledige Männer als auch Frauen anmelden. Viele im Landkreis Weilheim-Schongau und Landsberg nehmen sich diesen Montag extra frei. Sie werden anschließend einander zugelost und verbringen einen gemeinsamen Tag im Raistinger Gasthaus „Zur Post“, wo fleißig getanzt wird. Den Wein am Nachmittag und das Abendessen zahlt die Frau, der Eintritt und die Getränke an der Bar gehen auf die Kosten des Mannes.
Die Ursprünge des Raistinger Betteltanzes, den es in dieser Form bayernweit nirgendwo anders gibt, reichen laut Kreisheimatpfleger Klaus Gast bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Der Hintergrund sei schon damals derselbe wie heute gewesen: „Junge Mädls und Burschen zusammen zu bringen“, wie Gast sagt. „Früher war das ja im Alltag nicht so einfach.“ Aus mehreren Gründen: Ein unbeaufsichtigtes Treffen galt per se als unmoralisch. Zudem hätten die meisten Leute auf dem Land aufgrund der Arbeiten am heimischen Hof schlichtweg weniger Zeit gehabt. Da kam der Betteltanz, der seit jeher am Kirchweihmontag stattfindet, für viele gerade recht.
Bei Max Neumayr sieht das ganze natürlich anders aus. Der 18-Jährige aus dem Nachbardorf Pähl ist nicht auf den Betteltanz angewiesen, um eine Frau kennenzulernen. In Zeiten von Dating-Apps wie Tinder reicht dafür oftmals schon ein kurzer Wischer über den Handy-Bildschirm. Dass er sich bei seiner zugelosten Partnerin womöglich mehr ins Zeug legen muss, ist ihm bewusst. „Aber das macht doch den Reiz an der Sache aus“, sagt er. „Es ist ein schöner Brauch, den man pflegen sollte.“ Davon, was am Ende herauskommt, lässt er sich überraschen. „Ich hoffe einfach, dass wir viel Spaß und einen griabigen Abend zusammen haben werden. Wenn etwas Festes daraus wird, wäre es natürlich perfekt.“
Organisiert wird der Betteltanz alljährlich von den beiden sogenannten Ruatnbuam. Eine Ehre, die jedes Jahr zwei anderen Raistingern zu teil wird. Heuer sind es Florian Heinrizi und Stephan Drexl. Schon vor Wochen fuhren sie durch die Region und klingelten an den Haustüren, um Frauen für ihre Veranstaltung zu gewinnen. Bei den Männern sei das nicht nötig, sagt Heinrizi. „Die melden sich von ganz allein an.“
Wenn die Ruatnbuam alle Teilnehmer beisammenhaben, beginnt für sie die wohl wichtigste Aufgabe: die Entscheidung, wer mit wem verkuppelt wird. Anhand von Alter, Wohnort und Größe versuchen sie Paare zu bilden, die ihrer Meinung nach gut zusammenpassen könnten und sich im Optimalfall nicht kennen. „Es geht ja darum, neue Kontakte zu knüpfen“, erklärt Drexl. „Und am Ende sollte unsere Arbeit schon bei ein paar Pärchen Früchte tragen.“
Ob die Taktik der Ruatnbuam bei Tanja Sturm und Max Neumayr aufgeht, wird vermutlich erst der Abend zeigen. Die Chemie zwischen den beiden scheint zu stimmen. „Ich bin sehr zufrieden“, sagt Max Neumayr mit einem verschmitzten Grinsen. Auch seine Partnerin zeigt sich erleichtert. „Ich hatte ja schon ein wenig Sorge, was ich für einen Typen zugelost bekomme.“ Ihr Fazit nach dem ersten gemeinsamen Tanz: „Wir haben beide keine blauen Zehen – so schlecht kann’s also nicht gewesen sein.“