Altfraunhofen – Als sich die Menschen zum Gräbergang an Allerheiligen auf dem Friedhof versammelt hatten und um ihre toten Verwandten trauerten, spielte sich unweit hinter verschlossenen Türen im niederbayerischen Altfraunhofen (Landkreis Landshut) eine Familientragödie ab. Der 49 Jahre alte Lothar T. beendete an diesem Tag sein Leben. Kurz zuvor hatte er seine Lebensgefährtin Annemarie (61) und seine Mutter Helga (83) getötet. Lothar T. hatte selbst die Polizei zu dem grausigen Fundort gelotst. Nachbarn in der 2800-Seelen-Gemeinde sind fassungslos und vermuten ein mögliches Motiv hinter der Tat.
Gegen 15 Uhr erreichte die Landshuter Polizei ein Anruf. Es war Lothar T. Er erzählte den Beamten, dass sie in seinem Haus auf tote Personen stoßen würden: „Hier sind bald drei Leichen abzuholen.“ Dann nannte er die Adresse und sagte, dass beim Eintreffen der Polizei auch er selbst nicht mehr am Leben sein würde. Anschließend legte er auf und war nicht mehr zu erreichen. Wenig später fand man drei Leichen.
Lothar T., seine Lebensgefährtin Annemarie und seine Mutter Helga starben durch Schüsse aus einer Pistole, teilte das Polizeipräsidium gestern Nachmittag mit. Woher Lothar T. die Waffe hatte, ist nicht klar. Fest steht, dass die Pistole nicht auf seinen Namen gemeldet war, er anscheinend auch keine besitzen durfte.
Nach den ersten Ermittlungen der Kriminalpolizei haben sich alle drei für den Freitod entschieden. Es soll einen Abschiedsbrief geben. Die Ermittler gehen davon aus, dass T. mit dem Einverständnis beider Frauen zunächst seine Mutter und dann seine Lebensgefährtin erschossen hat. Welche Verletzungen sie dabei erlitten, sollte gestern noch eine Obduktion klären. Über ein mögliches Motiv wollte sich die Polizei vorerst nicht äußern.
Gespräche mit Nachbarn gaben jedoch einen Einblick in das traurige Leben der drei Hausbewohner. Demnach zog Lothar T. vor Jahren aus Berlin nach Niederbayern. Zusammen mit seiner Freundin Annemarie und seiner betagten Mutter lebte er bis zuletzt in dem Einfamilienhaus in der gepflegten Siedlung in Altfraunhofen – von Hartz IV und den Ersparnissen der Rentnerin. In der Öffentlichkeit bewegte sich T. nicht mehr. Rund 300 Kilogramm soll der 49-Jährige auf die Waage gebracht haben, er war offenbar abhängig von Freundin und Mutter. Doch gerade deren Gesundheitszustand soll sich in letzter Zeit dramatisch verschlechtert haben. Die Mutter soll an Krebs gelitten haben, auch seine Lebensgefährtin war angeblich schwer angeschlagen und nicht mehr in der Lage, für ihren Freund zu sorgen.
Lothar T.s Leben soll sich hauptsächlich in seinem Haus abgespielt haben – und im Internet. Dort teilte er seine Gedanken mit Freunden in den sozialen Netzwerken. Er verfasste gefühlvolle Gedichte und zerbrach sich über all das Leid in der Welt den Kopf. Auch in sein ganz eigenes Seelenleben gewährte er Einblicke.
Am vergangenen Sonntag – drei Tage vor dem Blutbad – wurde seine Verzweiflung offenbar immer größer. Innerhalb einer Stunde setzte er über 20 Beiträge, hauptsächlich Gedichte, im Netz ab. Diese lesen sich wie ein mehrteiliger Abschiedsbrief, in dem er von seiner Einsamkeit, seiner Hoffnungslosigkeit und seiner Verzweiflung schreibt. Johannes Heininger