New York, Rio, Riedering

von Redaktion

von christoph hollender

Dominikus Brückner kaut an seiner Semmel. Obazda und Salami sind darauf. „Das ist so schee, was mia ham, in Bayern“, sagt er und stochert mit seinem Messer in der Porzellantasse mit rosa Herzen nach mehr Käse. Vor ihm steht ein Brotzeitbrettl, es duftet nach Bergkäse. Brückner trinkt Augustiner aus der Flasche. Er meint: Den Bayern geht es recht gut. Die bayerische Tradition boomt – nicht nur bei ihm daheim in Bad Endorf im Landkreis Rosenheim. „Vor 20 Jahren am Herbstfest war ich ein Exot, wenn ich eine Lederhosn anhatte. Heute wirst blöd angschaut, wennst keine anhast.“ Dass der Boom ehrlich ist, da ist Brückner skeptisch. Tracht zu tragen habe nichts mit einmal Verkleiden im Bierzelt zu tun. Ein Wirt hätte mal gesagt, echt müsse der Mensch sein, das sei bei der Tracht so, bei Brauchtum und bei der Musik. Und darum geht es auch Brückner: echt zu sein.

Dominikus Brückner, 37, zwei Kinder, Dreitagebart, kurze, dunkle Haare, ist eines von 15 Mitgliedern der Riederinger Musikanten. Die Truppe aus dem Chiemgau tritt weltweit auf. Als Musiker, Schauspieler, Tänzer und bayerische Philosophen. Sie sagen: „Feste müssen ein sinnstiftendes Ritual sein.“ Sie mögen geistliche Musik und spielen bei Hochzeiten. In Indien haben sie 2014 bayerische Blechmusik gemacht. Mit Lederhosen und Dirndln standen sie auf dem Marktplatz von Mysore, eine 900 000 Einwohner-Stadt im Süden des Landes, und haben geschuhplattelt. Tageszeitungen berichteten darüber. Die Inder hätten sie wie Götter behandelt und mit Blumenketten geschmückt. Die nächste Station soll die Bühne in New York sein.

Wenn Dominikus Brückner von New York erzählt, reißt er seine Augen weit auf: „Darf man das überhaupt sagen?“ Die Pläne sind nicht spruchreif. Noch nicht. Den Brandner Kaspar wollen die Riederinger Musikanten mit dem Münchner Volkstheater in New York aufführen, so wie einst in Rio am Zuckerhut. Christian Stückl, Intendant am Münchner Volkstheater und damit einer ihrer Auftraggeber, wird von den Plänen erst erfahren, wenn er diesen Artikel liest.

Brückner mag es gemütlich, er lacht gern, trägt Trachtenstrickjacke, spricht Dialekt. Vor 25 Jahren war er dabei, als die Musikgruppe entstand, gemeinsam mit einer Schwester und drei Brüdern, die bis heute in der Gruppe musizieren. Die Väter dreier Großfamilien in Riedering – eine davon ist Familie Brückner – haben die Gruppe gegründet. Riedering ist eine oberbayerische Vorzeigegemeinde am Simssee mit gut 5000 Einwohnern. Das Chiemgauer Volkstheater hat hier seinen Hauptsitz.

Die Brückners sind eine Schauspielerfamilie, viele sind bekannte Gesichter aus Filmen und Serien, auch Dominikus. Florian spielte bei den „Rosenheim-Cops“, Susanne im Komödienstadel und Maximilian, der wohl bekannteste, spielte einen „Tatort“-Kommissar in Saarbrücken und die Titelrolle in der Serie „Hindafing“.

Begonnen hat alles in Kindertagen, erzählt Dominikus Brückner, beim Krippenspiel im Trachtenverein. So wie bei Josef Staber, 37, dem Chef der Riederinger Musikanten, der mit am Tisch sitzt. 24 Jahre waren es „Junge Riederinger Musikanten“. Das „Junge“ fiel kürzlich dem Alter der Musiker zum Opfer. Sie sind allesamt zwischen 27 und 37 Jahre alt. In diesem Jahr haben sie ihre erste und zugleich letzte CD herausgebracht, 22 Blasmusikstücke: Gratlspitz Marsch, Brautnacht Walzer, Riederinger Polka.

Tradition und Heimat sind den Musikern wichtig. Viele aus der Gruppe sind enge Freunde. „Schon unsere Großväter haben gemeinsam Musik gemacht“, sagt Dominikus Brückner. Bier hat’s auch immer gegeben. Heimat hat etwas mit Biertischen zu tun – sie lieben Auftritte in Bierzelten. Tradition spielt eine große Rolle. Staber sagt: „Wir wollen authentisch bleiben, in der Musik und als Menschen.“

Sie tragen Trachtengewand, sprechen Dialekt, duzen einen. Sie machen einfache Musik, Stimmungslieder. Einfach Blasmusik. Mit Flügel-, Wald- und Bassflügelhörnern, Klarinetten, Trompeten und Tuba. Kein Schlagzeug. Eine Musik, die sie als Menschen, als „oberbayerische Originale“, weit gebracht hat, kommt an. Theoretiker sind die Riederinger nicht. Brückner und Staber sind gelernte Zimmerer, Staber unterrichtet hauptberuflich an der Berufsschule.

Die Bretter, die die Riederinger bohren, sind ziemlich dick. Um das zu merken, muss man nicht bei Brückners am Küchentisch sitzen, wo alle Musiker Platz haben. Das weiß auch Volkstheater-Intendant Stückl, der sie auf die Großstadt-Bühne brachte. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt er, als er die Musikanten Ende der 1990er-Jahre kennenlernt. 2002 sollten einige der Riederinger nach München zur Probe ins Volkstheater kommen. „Das war krasses Neuland für uns“, sagt Josef Staber. Nach der Arbeit sei die Truppe von Riedering nach München gefahren, dreckig und „a Kistl Bier mit dabei, wia sich des halt ghört“, sagt Brückner.

Das gehört sich nicht, habe Stückl gesagt, als die Riederinger mit dem Kistl ins Theater marschierten. „Für uns waren da schon Paradiesvögel dabei“, sagt Staber. Zu Paradiesvögeln wurden die Riederinger selbst. Clownsnasen sollten sie tragen, dabei schuhplatteln, so habe es Stückl gewollt. „Mach ma ned“, war die Antwort. Stückl hat sie überzeugt. „Das Urvertrauen zu Stückl kam mit den Clownsnasen“, sagt Brückner. Heute sind sie eines der Aushängeschilder des Volkstheaters. Den Brandner Kaspar haben sie 310 Mal mitaufgeführt, seit 2005. Eine der Hauptrollen, den Boandlkramer, den vermenschlichten Tod, spielt Maximilian Brückner.

Aber wer sind die Riederinger eigentlich? „Manche tun sich schwer, uns einzuordnen“, sagt Josef Staber. Die Riederinger proben auch mal in kühlen Werkstätten auf abgelegenen Höfen mitten im Wald. Der Erfolg sei zufällig gekommen, sagt Staber, das Theaterspielen, die Reisen, das Glück. Erfolg habe aber Grenzen: „Du darfst vieles machen, nur das Herz darf es nicht kosten“, sagt Staber. Heißt: Des Geldes wegen macht es keiner. Als sie für einen Trachtenladen Musik spielten und Halstücher zur Tracht tragen sollten, haben sie sich geweigert. Halstücher hätten nichts mit Tracht zu tun, haben sie gesagt. Bei einem Auftritt gab es einmal keine Brotzeit. Sie sind wieder heimgefahren – vor dem Auftritt. Die liebsten Bretter, die die Riederinger bohren, sind Brotzeitbrettl. Sie mögen es gemütlich, essen und trinken gerne und machen dazu gemeinsam Musik. Das sei mehr viel wert als eine hohe Gage.

Artikel 1 von 11