Nahtod-Kongress in München

„Mir war klar: Ich sterbe“

von Redaktion

Von Andrea Stinglwagner und Gabriele Riffert

München – Der Dachdeckermeister Werner Barz aus München erstickt fast auf der Heimfahrt aus dem Jesolo-Urlaub. 30 Jahre ist es her, dass ihn im Auto am Brennerpass das Bewusstsein verlässt. Doch an das, was dann passiert, erinnert sich der heute 77-Jährige noch genau. Damals kämpft er mit einer schweren Hinhautentzündung, begleitet von beängstigend hohem Fieber. „Mein Atem ist immer weniger geworden“, erzählt er. „Im Auto habe ich noch meinen Sohn schreien gehört: „Der Papa stirbt!“ Dann hört Werner Barz nichts mehr.

Kurz darauf die Rettung: Ein Mann schafft es, den Sterbenden zu reanimieren und holt ihn ins Leben zurück. In den wenigen Minuten aber, die bis dahin verstreichen, geschieht für den Familienvater Unfassbares. „Wir war klar: Ich sterbe. Ich war ein bisschen gläubig und hab gedacht: Herrgott, da bin ich.“ Aber kein Jüngstes Gericht erwartet ihn. Im Gegenteil: „Es war, wie wenn auf einer Bühne ein Vorhang aufgeht und der Scheinwerfer strahlt“, sagt der Dachdeckermeister, der inzwischen in Rente ist. Ein Licht umfängt ihn, gleichzeitig hat er ein „Gefühl von bedingungsloser Liebe und Geborgenheit“ jenseits von Zeit und Raum.

Über Nahtoderfahrungen, wie sie Barz erlebt hat, sprach am Freitag der niederländische Kardiologe Pim van Lommel an der Münchner Hochschule für Philosophie, an der ein Kongress zu dem Thema stattfand. „Eine Nahtoderfahrung ist ein außerordentlicher Bewusstseinszustand“, erklärt der 74-Jährige. Bei Herzstillstand, im Schock oder sogar im Koma machen Patienten bisweilen außergewöhnliche Wahrnehmungen. Als Naturwissenschaftler habe er das lange für unmöglich gehalten. Bis ihm ein aus dem Koma erwachter Mann genau sagen konnte, was die Ärzte an seinem Bett gesprochen hatten. Von da an dokumentierte van Lommel systematisch die Erzählungen seiner Patienten. „Unabhängig von der religiösen oder kulturellen Prägung, vom Lebensalter, von Medikamenten- oder Drogenkonsum haben ganz verschiedene Menschen dasselbe berichtet“, fasst van Lommel eine Studie zusammen. Die meisten hätten gespürt, dass die Liebe das Allerwichtigste sei. Allein in Deutschland soll es rund drei Millionen Menschen mit vergleichbaren Erfahrungen geben.

Viele hätten ihr Leben nach der Nahtoderfahrung auch stark verändert. Sie interessierten sich etwa mehr für spirituelle Fragen, auch noch viele Jahre später. So wie Werner Barz. Nach seiner Genesung arbeitete er als Suchtberater und Sterbebegleiter. „Ich habe gespürt, ich muss was zurückgeben“, sagt er. Und er leitet die Selbsthilfegruppe „NahTodErfahrung München“.

Der Kardiologe van Lommel zeigt sich überzeugt davon, dass es ein nicht-lokales Bewusstsein jenseits von Zeit und Raum gibt. Die Hirnrinde diene nur als „Schnittstelle“. „Noch gibt es aber mehr Fragen als Antworten“, räumt der Forscher ein. Skeptiker gibt es dafür viele. Die Hochschule erhielt vor dem Nahtod-Kongress viel wütende Post, sagt der Vizepräsident, Professor Godehard Büntrup. „Wir wollen aus diesem Kongress keinen Beweis für das Jenseits liefern. Wir wollen ein Forum für Betroffene schaffen und das Thema aus der esoterischen Schmuddelecke herausholen.“

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