Ausgerechnet ein Mann, der Hitler mit allen ihm möglichen Mitteln zu verhindern suchte, wird nicht mal in Schulbüchern erwähnt. Karl Stützel war bayerischer Innenminister von 1924 bis 1933. Der gebürtige Pfälzer, Mitglied der katholisch-konservativen Bayerischen Volkspartei, war eigentlich ein korrekter Beamten-Politiker, der Karriere in verschiedenen Ministerien machte. 1924, nach Niederschlagung des Hitlerputsches und der allmählichen Beruhigung der politischen Lage, wurde er unter dem neuen bayerischen Ministerpräsidenten Heinrich Held ins Kabinett berufen.
Die Bayerische Volkspartei hatte unter dem Ministerpräsidenten und „Generalstaatskommissar“ Gustav von Kahr den Aufstieg der Hitler-Bewegung lange Zeit mit Sympathie verfolgt und sogar begünstigt. Doch nach dem Hitlerputsch im November 1923 änderte sich die Einstellung der konservativen Partei. Nun schlug die Stunde derer, die auf scharfe Abgrenzung zu den Nationalsozialisten drangen. Wie auch der Kultusminister Franz Matt gehörte auch Karl Stützel zu dieser Richtung. Vor allem nach dem Wahlerfolg der NSDAP im September 1930 ging die Regierung schärfer vor. Am 4. Juli 1931 wurde das „Braune Haus“ von der Landespolizei besetzt, es hagelte Uniform- und Umzugsverbote. „Innenminister Stützel wurde von der NSDAP mit heftigen Angriffen überschüttet, blieb aber fest“, schreibt der Historiker Wolfgang Zorn in seinem Standardwerk „Bayerns Geschichte im 20. Jahrhundert“.
Karl Stützel hatte indes einen Hauptwidersacher im Kabinett, der ihn bei seinem Kampf gegen rechte Extremisten behinderte: Das war Franz Gürtner, Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei, der wichtige Koalitionspartner der Bayerischen Volkspartei. Die DNVP hatte beim Eintritt in die Regierung 1924 schon darauf bestanden, dass Franz Schweyer, der beim Putschversuch ein Jahr zuvor Schießbefehl gegeben hatte, nicht länger Innenminister sein dürfe. Sonst würde man die Zustimmung zum angestrebten Konkordat mit dem Vatikan verweigern. Was Gürtner nicht ahnen konnte, war Karl Stützels ebenso strikte Bekämpfung aller Verfassungsfeinde, seine entschiedene Gegnerschaft wider Hitler und seine „Braunhemden“. Der Justizminister pflegte mit Regierungschef Held Hausmusik zu machen, Cello zu spielen. Von Amts wegen hatte er sicherlich auch Einfluss auf die Rechtsprechung, sodass ein Meineidsverfahren gegen Hitler niedergeschlagen wurde. Eingestellt worden ist auch eine Anklage wegen Bildung eines „bewaffneten Haufens“ der Nazis. Reichskanzler von Papen, der eine Einbindung der NSDAP anstrebte, berief Franz Gürtner 1932 als Justizminister in die Reichsregierung. Der gehörte er auch an, nachdem Hitler 1933 Reichskanzler wurde, und blieb es bis zu seinem Tod 1941. In München bekam Gürtner ein Staatsbegräbnis auf dem Waldfriedhof. Keine 300 Meter entfernt wurde im Juli 1944 Karl Stützel bestattet.
Er hatte noch im März 1933 versucht, die Machtübernahme Hitlers in Bayern zu verhindern – das letzte Land im Reich, das gleichgeschaltet wurde. Letztlich wurde er auch hier wieder vom zögerlichen Ministerpräsidenten Held gebremst. Vor einer Königsproklamation des Kronprinzen Rupprecht, von Teilen der BVP als Gegenmaßnahme zu Hitlers Machtübernahme in Bayern ernsthaft erwogen, schreckte aber auch Stützel zurück.
Ob der Innenminister wirklich Schießbefehl erteilte, wie die Nazis damals behaupteten, als SA und SS den Landtag stürmten und die Hakenkreuzfahne auf dem Münchner Rathaus hissten, ist umstritten. Fest steht, dass in der Nacht vom 9. auf den 10. März Männer der SA oder SS in seine Privatwohnung drangen und ihn im Pyjama nötigten mitzukommen. Auf der Ladefläche eines Lkw wurde er ins „Braune Haus“ gebracht, im dortigen Keller vor zahlreichen Nazis gedemütigt und malträtiert.
Der spätere bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner berichtete in seinen Erinnerungen „Flucht vor Hitler“, dass „dem Minister im Braunen Haus der Arm umgedreht worden war und dass er vor Schmerzen geschrien hatte“. Erst der neue bayerische Justizkommissar Hans Frank holte ihn da raus.
Zuvor hatte sich Karl Stützel noch einen Pass und eine Pistole besorgt, flüchtete nach seiner Freilassung nach Österreich und später nach Italien. Sein Name soll auf einer Liquidierungsliste gestanden haben.
Moralisch gebrochen kehrte er später zu seiner Familie nach München zurück, wo ihm nach langen Beratungen eine Rente als Regierungsrat zugestanden wurde. Bei seiner Beerdigung im Juli 1944 auf dem Waldfriedhof durften nur engste Familienangehörige dabei sein – und Gestapo-Leute. Stützels Grab wurde schon vor ein paar Jahren aufgelassen.
Im Münchner NS-Dokumentationszentrum erinnern ein Foto und ein Kurztext an ihn. Nahe des Alten Botanischen Gartens soll nun, so hat die Stadt beschlossen, ein Platz nach ihm benannt werden. peter miroschnikoff
Dirk Walter