Schliersee – Horst Kuhlemann kommt selten so verärgert von seinem Stammtisch nach Hause wie vergangene Woche. Das hat nichts mit seinen Stammtisch-Freunden zu tun, sondern mit einem Vorfall, den er am Bahnhof in Schliersee (Kreis Miesbach) beobachtete.
Als die Bayerische Oberlandbahn (BOB) dort hielt, stieg ein offenbar etwas verwirrter älterer Herr aus, um auf dem Bahnsteig eine Zigarette zu rauchen. Da er anschließend nach Bayrischzell weiterfahren wollte, hatte er seinen Rollator und sämtliche Wertgegenstände wie Geldbeutel und Handy im Zug gelassen. Er bemerkte zu spät, dass der Zug wieder abfuhr – und blieb hilflos am Bahnsteig zurück.
In seiner Not kam der Rentner in das Lokal, in dem Kuhlemann mit seinen Freunden zusammensaß. „Er hat sehr gebrechlich gewirkt“, berichtet der 77-Jährige. Der Mann schilderte aufgelöst sein Problem. Kuhlemann griff sofort zu seinem Handy, suchte im Internet nach einer Kontaktnummer der BOB und versuchte zu helfen. „Ich wollte nur darum bitten, dass die Sachen des Mannes sichergestellt werden, sodass er sie am Bahnhof in Bayrischzell abholen kann“, erzählt er. „Aber die Dame am Telefon war nicht bereit, mir zu helfen.“ Ihre Dienstvorschrift verbiete es ihr, den fahrenden Zug zu kontaktieren, sagte sie. Kuhlemann war fassungslos.
Einer seiner Freunde fuhr den alten Herrn im Auto nach Bayrischzell. Mitarbeiter der BOB hatten seinen Rollator und die Wertgegenstände tatsächlich am Bahnhof aufbewahrt. Doch es dauerte eine ganze Weile, bis sie herausgefunden hatten, wo sie danach fragen müssen. Der Helfer fuhr den Rentner anschließend nach Hause. Zwei Stunden später war er zurück am Stammtisch bei seinen Freunden.
Auch Tage nach dem Vorfall ist Kuhlemann noch wütend. „Wir haben uns alle über das gleichgültige Verhalten und die Hilfeverweigerung der BOB geärgert“, sagt er. Ohne die Helfer in dem Lokal wäre der alte Mann schließlich völlig aufgeschmissen gewesen.
Auf Nachfrage bestätigt ein Sprecher der BOB den Vorfall. „Wir bedauern, dass der Eindruck entstanden ist, dass wir nicht helfen wollen. Das Gegenteil ist der Fall“, betont er. Die langjährige Mitarbeiterin am Service-Telefon habe aber gar nicht anders handeln können. „Auch wenn das für den Betroffenen nicht erfreulich ist: Sie darf nicht im betreffenden Zug anrufen, denn das könnte den Lokführer in der Konzentration stören“, erklärt der Sprecher. Grundsätzlich sei die Service-Nummer aber die richtige Anlaufstelle. Manchmal müssten sich Betroffene aber leider einen Tag gedulden, wenn der Zug noch unterwegs ist.
Der Lokführer habe die Wertgegenstände des älteren Herrn nach der Fahrt gefunden und beim Fahrdienstleiter abgegeben – sodass später wieder alles an den Mann übergeben werden konnte. Natürlich sei es etwas unglücklich, dass der Mann ohne seine gesamten Wertgegenstände ausgestiegen sei. Umso erfreulicher sei das Verhalten der Stammtisch-Gruppe, die den Mann auf eigene Kosten nach Bayrischzell gefahren hat. „Diese Zivilcourage ist wirklich bemerkenswert.“ kwo/dg