Wie ist es bisher?
Häufig ist ein Medizinstudium erst nach vielen Wartesemestern möglich. So wie bei Victoria Reffler (27) aus Türkheim bei Bad Wörishofen. Ihr Abiturschnitt war mit 2,2 zu schlecht. Sie machte eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin, investierte tausende Euro aus eigener Tasche für die Schule und den kleinen Lkw-Führerschein, arbeitete sechs Jahre und absolvierte einen sehr guten Medizinertest. Nach sieben Jahren bekam sie mit 26 ihren Studienplatz an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie sagt: „Ich bereue es nicht. Aber die Wartezeit ist vollkommen unverhältnismäßig.“ Wartezeit, Abiturnote, uniinterne Auswahlverfahren und der berühmte Medizinertest – das sind die Instrumente, mit denen unter potenziellen Medizinstudenten vorab gesiebt wird. Der Andrang ist trotzdem groß: In Deutschland gab es zuletzt rund 43 000 Bewerber, die sich zum Start des Wintersemesters um einen Medizinstudienplatz bewarben. Es gibt aber nur gut 9000 Plätze an 34 staatlichen Hochschulen. In Bayern sind es 1760 Plätze, 870 davon an den Münchner Unis LMU und TU.
Das Urteil
Das Auswahlverfahren zum Medizinstudium verletzt teilweise die Chancengleichheit, urteilten die Karlsruher Richter. Geklagt hatten zwei Studienplatzbewerber, die wegen ihrer Noten abgelehnt worden waren, obwohl sie zuvor eine Ausbildung als Rettungssanitäter und Krankenpflegerin abgeschlossen hatten. Die Richter rügen nun die Auswahlkriterien, die die Universitäten festgelegt haben. Fachnahe Qualifikationen würden zu wenig berücksichtigt, Abiturnoten im uniinternen Eignungsverfahren überbewertet. Die Verfahren, nach denen immerhin 60 Prozent der Studienplätze vergeben werden, müssten „in standardisierter und strukturierter Weise“ stattfinden. „Da kommen eine ganze Reihe von Anpassungen auf uns zu“, sagte Bayerns Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle (CSU) gegenüber unserer Zeitung. „So wie’s ist, kann’s nicht bleiben.“ Explizit gerügt wurde auch, dass die Unis Würzburg und Regensburg Kriterien wie einen abgeleisteten Wehrdienst und die Teilnahme an Wettbewerben wie „Jugend forscht“ berücksichtigen. Problematisch ist die Wartezeit. Es ist rechtens, dass 20 Prozent der Studenten nach der Wartezeit gewählt werden, die Dauer von im Schnitt sieben Jahren ist laut Urteil jedoch „verfassungswidrig“. Das „werden wir deckeln müssen“, meinte Spaenle – eine Zahl wollte er aber nicht nennen.
Die Ortspräferenz
Beliebtes Kriterium bei der Auswahl von Studenten durch die Unis ist es auch, die sogenannte erste Ortspräferenz stark zu gewichten. Studienbewerber müssen bisher in Medizin sechs Studienorte nennen, die für sie infrage kommen. Manche Unis wie die Berliner Charité lassen Studenten prinzipiell aber nur dann zu, wenn sie an erster Stelle ihre Uni nennen. Das geht nicht, urteilte Karlsruhe.
Der NC
Der Numerus Clausus, nach dem 20 Prozent der Bewerber über die Abiturnote ausgewählt werden, ist hingegen verfassungsgemäß. Doch merken die Richter kritisch an, dass die Vergleichbarkeit der Abiturschnitte nicht gegeben ist. Viele Bewerber hätten so „erhebliche Nachteile“.
Die Reaktionen
Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden begrüßte das Urteil. Bundesärztekammer-Präsident Frank Montgomery rief dazu auf, bei der Reform „Tempo zu machen“ und mehr Studienplätze zu schaffen. Das allerdings ist teuer. Ein Lichtblick für Bayern: An der Uni Augsburg wird es ab 2019/20 einen weiteren Medizinstudiengang geben. D. Walter/C. Hollender