München – Auch in Bayern kam es in der Silvesternacht vereinzelt zu unschönen Szenen bei Polizeieinsätzen. In Garmisch-Partenkirchen schlug ein betrunkener 21-Jähriger einer Polizeibeamtin ins Gesicht, nachdem ihm der Zutritt zu einer Kneipe verweigert worden war. In Moosburg (Kreis Freising) war ein Betrunkener vom Balkon gestürzt – und biss daraufhin einem Polizisten, der ihm helfen wollte, in den Oberschenkel. Insgesamt hielt sich die Gewalt gegen Einsatzkräfte im Freistaat zum Jahreswechsel zwar in Grenzen – „aber das Problem sind nicht die Silvesternächte“, sagt Rainer Nachtigall, Vorsitzender des bayerischen Landesverbandes der Deutschen Polizeigewerkschaft. „Das Problem ist der ganz normale Alltagswahnsinn.“
Seit Jahren steigt in Bayern die Zahl der Angriffe auf Polizeibeamte. Allein im Jahr 2016 dokumentierte die Polizei 6919 Fälle von verbaler oder physischer Gewalt gegen Polizisten. Im Bereich des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord deutet sich schon jetzt eine weitere Steigerung für das vergangene Jahr an. Dazu kommen die Übergriffe auf Rettungskräfte wie Feuerwehr oder Notärzte. Das Bild der Tatverdächtigen ist dabei seit Jahren dasselbe: Sie sind überwiegend polizeibekannt (76 Prozent), männlich (86 Prozent) und stehen in zwei Dritteln der Fälle unter Alkohol- oder Drogeneinfluss.
„Diesen Werteverfall in unserer Gesellschaft dürfen wir auf gar keinen Fall akzeptieren“, sagt Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Statistisch sei im Jahr 2016 rund jeder zweite Polizeivollzugsbeamte von Gewalt betroffen gewesen. Herrmann will dieser Entwicklung mit einer besseren Polizeiausrüstung entgegentreten. Neben verbesserten Schutzwesten und neuen Waffen setzt der Innenminister auf die abschreckende Wirkung von BodyCams.
Die hält auch Rainer Nachtigall für hilfreich, gerade wenn es darum geht, nach Übergriffen auch beweiskräftig ermitteln zu können. In den harten Urteilen nach den Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg sieht Nachtigall ebenfalls eine Signalwirkung. Dort wurde teilweise schon der im vergangenen Jahr beschlossene neue Paragraf im Strafgesetzbuch zu tätlichen Angriffen auf Vollstreckungsbeamte angewandt, der härtere Strafen ermöglicht.
Für Nachtigall spielt aber noch ein weiterer Faktor eine Rolle, zumal ein großer Teil der Angreifer bei den Taten unter Alkoholeinfluss steht: „Gerade in Bayern hat die Sperrstundenregelung dazu beigetragen, dass es nachts zu mehr Vorfällen kommt.“ Dass in weiten Teilen Bayerns bis auf eine Putzstunde von 5 bis 6 Uhr durchgefeiert werden kann, das wollen die meisten Abgeordneten im Landtag aber nicht antasten.
„Das ist Sache der Kommunen und das soll auch so bleiben“, sagt der Vorsitzende des Innenausschusses Florian Herrmann (CSU). Er glaubt, dass die Hemmschwelle gegenüber Repräsentanten des Staates in den vergangenen Jahren schleichend gesunken ist. In seinen Augen hat das seinen Ursprung in der vor allem in der linksradikalen Szene geführten Debatte darüber, ob Gewalt gegen Sachen ein legitimes Mittel sei. Immer häufiger würde der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte als veredelte Form der Zivilcourage gesehen. Hier müsse man gegenarbeiten.
Katharina Schulze (Grüne) hält es für falsch, die Debatte ideologisch aufzuladen. „Ich glaube nicht, dass es weniger Respekt gegenüber der Polizei gibt. Studien zeigen, dass die Menschen unseren Polizeibeamten vertrauen.“ Die Debatte über die steigende Gewalt gegen Einsatzkräfte sei aber überfällig. „Wir brauchen eine Studie, die auch das Dunkelfeld aufhellt“, sagt Schulze – also auch die Fälle gegen Rettungskräfte genau aufarbeitet. Grundsätzlich plädiert Schulze aber dafür, vor allem auf mehr Angebote zur Alkoholprävention zu setzen. Außerdem seien mehr Beratungsangebote für die Helfer nötig: Sowohl über den Umgang mit dem Erlebten, als auch zum Verhalten in schwierigen Situationen. „Das große Ziel muss bleiben, die zu schützen, die uns schützen.“