München – Als sie 13 war, fühlte es sich für Michelle Brey an, als hätte sich die ganze Welt gegen sie verschworen. An ihrer Schule, einem Münchner Gymnasium, kursierten damals Zettel über sie, gespickt mit Gerüchten und Beleidigungen. Mitschüler rempelten sie auf dem Gang an, versperrten ihr den Weg. Einmal kam ein Mädchen auf sie zu, dessen Namen sie nicht einmal kannte, baute sich vor ihr auf und sagte ihr ins Gesicht: „Ich hasse dich.“
Bis in den Fußballverein verfolgte Michelle Brey ein Hass, der scheinbar aus dem Nichts kam: Ihre Mitspielerinnen ignorierten sie, spielten ihr im Training nicht einmal mehr den Ball zu. Und Michelle Brey, das erzählt sie heute, litt.
„Ich dachte erst, es liegt an mir“, erinnert sie sich heute, fünf Jahre später. Dabei habe hinter dem Psychoterror eine Mitschülerin gesteckt, die auch mit Brey im Fußballverein spielte. Das Mädchen habe, wo es ging, Stimmung gegen ihr Opfer gemacht. Erfolgreich: „Es haben sich genügend Mitläufer gefunden“, sagt Brey. Ihre Lehrer, Trainer und ihr Freundeskreis waren keine Hilfe. „Kannst du das nicht einfach ignorieren?“ – diesen Spruch konnte Michelle Brey irgendwann nicht mehr hören. Und weil sie sich anderen anvertraut hatte, galt sie auch noch als Petze.
Michelle Breys Geschichte ist typisch für Mobbing-Opfer. Mechthild Schäfer von der Ludwig-Maximilians-Universität München forscht seit vielen Jahren zu dem Thema. „Die vielen kleinen Nadelstiche sind das Gefährliche“, sagt die Psychologie-Professorin. Wer nicht hinsehen wolle, tue sich leicht, die Not der Opfer zu ignorieren. Dabei ist die oft groß: Emotionale Einsamkeit, soziale Isolation, das Gefühl, selbst an der Misere schuld zu sein – das alles legt sich wie ein Grauschleier aufs Gemüt.
„Du verhältst dich ja auch so seltsam“, bekämen betroffene Kinder dann oft zu hören. „Wen wundert’s?“, sagt Schäfer. Sie ärgert sich regelmäßig darüber, dass selbst manche Lehrer, die es besser wissen müssten, den Opfern die Schuld an ihrer Not zuschieben – indem sie die seelischen Auswirkungen auf deren Verhalten als Ursache für die Ausgrenzung fehldeuten.
Das typische Opfer gibt es dabei laut Schäfer gar nicht. Schüler, die wie Michelle Brey Ziel von Mobbing werden, hätten meist schlichtweg „wahnsinniges Pech“. Hinter der systematischen Ausgrenzung steckt der Mobbing-Forscherin zufolge viel mehr Willkür als tatsächliche persönliche Abneigung. „Aggression ist eine supercoole Strategie“, erklärt Schäfer. Meist sei es ein einzelner Täter, so nennt die Psychologin die Mobbing-Urheber, der auf Kosten eines anderen Status und Dominanz demonstriere. In 80 Prozent der Klassen, schätzt die Psychologin, gebe es ein solches Kind mit „ganz hohem Täterwert“, das wie im Fall von Michelle Brey Teile der Klasse geschickt auf seine Seite ziehe.
Brey schwor sich durchzuhalten. Trost fand sie in den Songs ihres Lieblingsmusikers Robbie Williams, dessen Texte „mega-passend“ zu ihrer Situation gewesen seien. „Die Musik war immer für mich da“, sagt sie. Damit die Mobbing-Attacken aufhörten, brauchte es aber einen Beinahe-Unfall. Ein Mitschüler rannte Brey hinterher, als sie nach Hause radelte. Vor Schreck überfuhr sie eine rote Ampel, fast prallte sie in ein Auto.
Die Schule reagierte, endlich. Angedrohte Strafen zeigten Wirkung, das Mobbing ebbte ab. Schließlich fiel die Haupttäterin durch und wechselte auch den Verein. Der Spuk war vorbei. Ihre Erlebnisse hat Michelle Brey aufgeschrieben, für sich selbst, aber auch mit dem Ziel, sie zu veröffentlichen. „Ich möchte ein Zeichen gegen Mobbing setzen“, sagt sie. Sonst hat sie mit dem Thema abgeschlossen, heute macht die 18-Jährige eine Ausbildung, spielt weiter Fußball, hat Freunde, macht ihr Ding.
Nicht alle Betroffenen schaffen das. Mobbingforscherin Schäfer rät ihnen, unbedingt Hilfe von außen zu suchen: „Wenn ihr nichts sagt, wird es nur schlimmer.“ Erster Ansprechpartner neben den Eltern: ein Lehrer, dem das Kind vertraut. Ein Kinderarzt kann laut Schäfer helfen, psychosomatische Schwierigkeiten zu dokumentieren.
Bei direkter Konfrontation, wie etwa einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen untätige Lehrer, bestehe die Gefahr, verbrannte Erde zu hinterlassen. Trotzdem sollten Eltern das in Erwägung ziehen, um künftigen Fällen vorzubeugen, sagt Schäfer. Sie verweist auf das Diskriminierungsverbot: „Das Grundgesetz gilt auch für Kinder.“
Weitere Informationen
und Ansprechpartner gibt es im Netz bei der Mobbingforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München: www.mobbingforschung.de